Forschungsbericht 2016

Neues Großhöhlensystem in den Loferer Steinbergen

Bernd: "Hol doch mal den Kühlschrank!" Björn: "Ja, mach ich."

Solche Dialoge versteht nur wer unser traditionelles, langjähriges Camp hoch oben in den Loferer Steinbergen schon besucht hat. Dort haben wir uns Ende August wieder breit gemacht und die Sonne genossen. Die Kühlschranktonne schmorte im Schneefeld vor sich hin und brauchte täglich ein neues Loch. Auch das Trinkwasser floß reichlich in die unter dem Altschnee platzierten Kanister.

Dagmar und acht männliche Begleiter wollen dem ORO-Freezer auf den Grund gehen. Der Höhleneingang befindet sich ca. 500 Höhenmeter über dem nördlichen Ende des Horizontalteils des Loferer Schachts, bläst stark und ist seit 2015 schon bis -318m Tiefe bekannt. Richtig spannend wird es jedes Jahr durch den wechselnden Eisstand im Eingang, offen oder zugefroren? Die aufsteigende Kaltluft kondensiert im Austrittsbereich, das führt bis -85m zu starker Eisbildung. Ein kleiner Gletscher direkt unter der von der Sonne erhitzten Steinwüste. Das hat uns in Lofer bislang noch keiner geglaubt.

Offen! Juhu! Schon schleppen Tom und Philipp 130m Seil für den Eingangsbereich und 200m neue Seile für die Forschung heran. Nach zwei Stunden hängt das Seil wieder durch das Eis, zwei Ankerpunkte sind allerdings unerreichbar eingefroren. Dann geht es von Level 1 durch die selektierende, vertikale Engstelle weiter in den riesigen Schacht hinab.

Patrick will heute nicht so tief hinunter, doch Petr baut die Fortsetzung in der unbekannten Halle ein. Vom letzten bekannten Punkt ein bisschen an der Wand lang, die Rampe ist wegen Steinschlag zu gefährlich und dann bald frei hinab. „Frei“ heißt hier die Wand verschwindet und der mutige Forscher hängt völlig losgelöst im Seil unterm Monsterüberhang. Petr hat nach 80 Metern Höllenfahrt Glück, die Wand kehrt zurück. Allerdings ist das 100m Seil zwei Meter über einem rettenden Band zu Ende. Das nächste 100m Seil beginnt …

Ein Regentag hält uns etwas von der Tiefenforschung fern, doch dann sind wir am Dienstag wieder vor Ort. Petr und Patrick wollen Fotos von Ihrem Werk machen und das Altforscherteam Bernd und Oli hieven weitere 200 Meter bestes Höhlenseil in die Tiefe. Auf dem angesprochenen Band queren wir ein paar Meter, dann wird es wieder luftig. Oh, ich vergaß zu erwähnen, dass nun auch vom Band noch kein Boden in der Halle – oder ist´s ein Schacht ? – zu sehen ist. Keine Decke und keine umliegenden Wände zeigen sich. Das liegt nun nicht am mickrigen Licht, liebe Freunde! Unsere 1000 Lumen LED-Strahler schaffen leicht 50 Meter. Es liegt an der GRÖSSE ! (Große Schächte – große Angst, sagen die Psychologen … )

Blick auf Level 3

Dass da außer uns zwei Menschlein an der Wand noch etwas ist, hört man vernehmlich. Irgendwo rauscht ein Wasserfall und die berühmten Teststeine, auch da braucht es große Brocken, knallen auch irgendwann mal auf ! Also absolutes Vertrauen ins Material und hinab.

Nach bereits 40 Metern habe ich die Wand wieder, rufe Bernd herunter und weiter geht es. Unten glänzt etwas, vielleicht der Boden ? Doch zuviel Wassernebel behindert die Sicht. Jetzt geht es um die Wurst, das Seil wird knapp. Ich lote mit dem dicken Knoten im Seilende hinab, juhu, passt genau. Eine Felskante noch, oh, der sichtbare Fußboden-Grundriss kommt mir bekannt vor! Rasch stehe ich unten, muss mich zunächst von den angehängten Sachen befreien. Schleifsack, Karabiner, Laschen, Schraubenschlüssel aus dem Weg räumen, dann vier Schritte gehen und DA IST ES!!

Ein STEINMANN, drei Steine aufeinander, kein Zufall oder? Hier waren wir schon, das ist ein Teil des Loferer Schacht´s . Jiipppiiiiieee – Verbindung – Bernd, DA ISSES – Steinmann - Verbindung!!! WAHNSINN!! Holldriiöööhhh, der HAMMER!! Mit Bernd im Arm brüllen wir um die Wette, Loferer Schacht!! Verbindung, VER-BIN-DUNG !! Ein Wahnsinn nach all den Jahren, so dröhnt es völlig unverständlich nach oben. Dort lauschen nämlich Petr und Patrick gebannt den beiden Verrückten da unten. Haben die den Tiefenkoller? Ist was passiert? Nix wie runter.

Schon nähert sich Patrick seinem neuen Tiefenrekord (ca. -475m) und den nun schon frei freudentaumelnden tanzenden Wilden! Inzwischen haben wir einen alten Meßpunkt entdeckt und noch einen weiteren Steinmann. Somit ist es absolut sicher der Loferer Schacht und der Probast Robert Zidlického. Hier in 680m Tiefe vom alten Eingang aus gemessen, waren wir vor 7 Jahren schon! Leider ging es am Hallenboden damals nicht weiter. Das müssen wir nach penibler neuerlicher Überprüfung wiederum feststellen. Es hat sich bis heute nicht geändert. Egal, doch damals sind wir auch 68m auf den Boden abgeseilt. Ohje, das Loch aus dem schmalen Mäander heraus ist wohl auf der anderen Wand ganz oben in der Schwärze – völlig unerreichbar über Grund – wir können es noch nicht einmal sehen. Sei's drum – der Wind zieht durch und wir können den Erfolg feiern – ein echtes Großhöhlensystem!! WAHNsssiiiinnnnnnnn.

Die Fakten

  • Die Verbindung der beiden Höhlen ORO-Freezer und Loferer Schacht ist geschafft und nachgewiesen. Die kartographische Abweichung der im Probast Robert Zidlického zusammentreffenden Vermessungsdaten liegt unter 25 Metern. Das ist bei den Schwierigkeiten auf „dem Weg“ absolute Spitze.

  • Da die große Höhle immer die kleine Höhle schluckt, ist der Loferer Schacht nun schlagartig auf ca. 11.620m Ganglänge angewachsen. Ein Großhöhlensystem und natürlich Rekord – das Größte in den Loferer Steinbergen!

  • Seit 2003 träumen wir von einem zweiten Eingang im Süden – nun haben wir einen im Norden

  • Der Wind, welcher so kräftig aus dem ORO-Freezer bläst, ist thermischer Natur und stammt zum Teil aus dem ca. 200 Höhenmeter höher liegenden saugenden Eingang des Loferer Schachts. Sicher hat man auch im ORO-Freezer die leckeren Kochdüfte aus dem Garten-für-die-Harten Biwak schuppern können

  • Während der Forschungswoche haben wir 300m Seil von unten bis Level 3 wieder ausgebaut, noch eine horizontale Fortsetzung, die Belle tage bei ca. -270m angefahren, einige neue Kleinhöhlen wie den Mittagsgang, Abendprogramm, etc. entdeckt und vermessen.

  • Neue persönliche Rekorde wurden aufgestellt. Tiefste Alpenhöhle für Marvin, bis Level 2 ca. -180m. Tiefste Höhle für Björn bis in die neue Belle Etage, ca. -270 m. Tiefste Höhle für Patrick bis ca. -475m! Ansonsten für einige Forscher eine beachtliche Tagestour mit schweren Lasten bis zum tiefsten Punkt bei ca. -475m und zurück in die Nacht.

  • Zwei Flaschen rumänischer Wein Marke „Underground Kingdom“ und andere anheiternde Genussmittel wurden den feiernden Forschern zugeführt

Fotos: Petr Caslavsky, Oliver Kube

Text: Oliver Kube

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