Auf Klettersteigen durch die Brenta – in der Woche
vom 12. – 19.09.2020
Das war eine Woche wie sie im Bilderbuch stand. In Coronazeiten waren die Hütten nur halb belegt. Dementsprechend war die Dichte der anstehenden Aspiranten auf den Klettersteigen gering und verlief sich in den Weiten der Brentaspitzen, um dann auf den Hütten wieder zusammenzukommen.
Aber von Anfang an. Wir sind von Madonna di Campiglio aus gestartet. Wenn im Winter die Skiläufer hier versammelt sind, ist es mit Sicherheit sehr chic hier zu sein. Bogner und Co. haben Ihre Strahlkraft nicht verloren und an dem recht großen Weiher im Ortszentrum ziehen dann die Schlittschuhläufer ihre Bahnen. Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist die Ortschaft durch österreichischen und mitteleuropäischen Adels- und reichen Bürgerstand bekannt geworden. Auch die Pokale aus den 1970 und 80ern unseres Hotelbesitzers zeigen die Bedeutung des Ortes für den Alpinen Skiweltcup. Neben der Brenta liegt Madonna di Campiglio auf 1550 m Höhe an der vergletscherten Adamello-Presanella Gruppe. Hier am Seilbahnknotenpunkt der Grostè-Bahn nahe dem Campo Carlo Magno Pass, wo sich bereits zwei Seilbahnen befinden und eine dritte gebaut wird, startete unsere Tour.
Joachim und ich stiegen beim Rifugium (Hütte) Boch aus, Gabi und Sabine fuhren mit der Seilbahn bis zum Passo del Grostè. Dies ist ein Annähern mit Weitblick. Denn der auf der gegenüberliegenden Seite befindliche Naturpark des Adamello ist genauso zu sehen wie die aus dem bleichen Gestein des Dolomits bestehenden, vor uns liegenden Brenta-Gipfel. Nach einer Stunde hatten wir den Einstieg in die Klettersteigwelt gefunden. Mit der Cima (Gipfel) del Grostè, der Cima Falkner, die wir bestiegen, und dem Campanile di Vallesinella umrundeten wir auf dem Sentiero (Weg) Benini bis in die Bocca (Schulter, Öffnung) di Tuckett ein erstes Gebirgsmassiv. Wegen der steilaufragenden Wände ist der Schnee hier auf 2649 m noch nicht vollständig geschmolzen und so empfing uns ein Gletscher mit abschüssigem Potential. Wie gut, dass wir Steigeisen mithatten. An dem Rifugio Tuckett war dann der erste Klettersteigtag zu Ende.
Am nächsten Tag verlief der Sentiero di Bocchette Alte an der Cima Sella, der mächtigen Cima Brenta und der Cima Molveno zum Rif. Alimonta entlang. Auf 3004 m ging die Via Ferrata (Klettersteig) hinauf. Von dem eigentlichen Weg abgebogen stiegen wir der Cima Brenta entgegen. Unser Versuch endete auf der Cima Vallesinella auf 3110 m, weil für den weiteren Kletterweg eine Scharte in 3er Kletterei mit steilen Wänden zu überwinden gewesen wäre. Seilfrei war uns die Stelle zu risikoreich.
Der Sentiero di Bocchette Centrale war die Königsetappe. Sie verlief am Cima dei Armi, der Torre di Brenta, der Campanile Alto und der Campanilie Basso sowie an der Cima Brenta Alta zur Pedrotti Hütte entlang. Am Campanile Basso beobachteten wir zwei Seilschaften, die in etwa die Hälfte des Kletterweges von ca. 350 m geschafft hatten.
Die Steilheit der Berge führte unweigerlich die Ferrata auf Bändern hinauf und hinab. Senkrechte 200 bis 400 m nach oben und mehrere Hundert Meter hinab setzen einen schwindelfreien Begeher voraus. Auch an dieser Stelle war ein Dach nach oben und so hingen wir an unserem Klettergurt in der senkrechten Wand. Zum Glück sprudelte einige Meter zuvor eine Quelle aus dem Fels heraus, so dass wir uns für die Querung stärken konnten.
Von der Pedrotti-Hütte ging es um die Cima Brenta Bassa herum und direkt in Richtung Cima Tosa, der mit 3173 m der höchste Berg der Brenta ist. Aber die Besteigung dauert ca. 3 Stunden und ist ebenfalls mit 3er Kletterei bewertet, weshalb wir davon absahen und uns stattdessen für den Sent. Brentei auf 2859 m in die Bocca di Tosa in wilder Klettersteigmanier entschieden. Der Gletscher der Vedretta di Ambiez war ausgesprochen steil und die letzte Hürde bis zum Rif. Agostini.
Der Sentiero Castiglioni zum Rif. XII Apostoli führte den Bocchette dei Due Denti hinauf mit herrlichen Ausblicken. Die zur Hütte gehörende Kapelle ist nach 1952 aus dem Berg herausgesprengt worden. Ihr Charakteristikum besteht aus dem aus dem Berg herausgesprengten Kreuz verbunden mit zahlreichen Gedenktafeln an verunglückte Bergsteiger. Über den Sentiero dell´ Ideale ging es zum Vedretta di Camosci und auf dem Sentiero Martinaz um die Cima Tosa und Crozzon di Brenta zur Brentei-Hütte und dem Rif. Tuckett.
Ein entspannter Weg stand uns über den Klettersteig Sent. Sosat zur Alimonta Hütte bevor. Danach ging es über den Sent. Bocchette Alto wieder zur Tucketthütte ein letztes Mal zurück, bevor wir den Rückweg zur Grostè-Seilbahn und die Zivilisation nahmen.
Ich werde wiederkommen, soviel steht fest. Die gesamten Klettersteige sind mit neuen Stahlseilen und Haken, wie aus dem Ei gepellt und in exzellentem Zustand. Die Ausstiege auf die Gletscher waren manchmal etwas heikel und die Brentanebel zogen stets ab ca. 14 Uhr mit mehr oder weniger Heftigkeit auf. Die Schwierigkeit der Klettersteige liegt bei dem Grad C/D. Aber das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass meist über Stunden die Konzentration hoch bleiben sollte und die Trittsicherheit sowie die Schwindelfreiheit über die ganze Wegstrecke eine neue Qualität bekommt. An Überholmanöver ist nur bei freierer Strecke zu denken.
Text und Bilder: Egbert Kapelle