Alpinfahrt & Klimabaustelle

Es ist Montagnachmittag und der Zug kommt zum Stehen. Drei Schritte hinaus auf den Bahnsteig und schon wird man von der klaren, kühlen Bergluft eingehüllt. Bereits am Bahnhof eröffnet sich ein beeindruckendes Panorama des Kaunertaler Gebirges, dessen Höhen und Tiefen während der Busfahrt zu unserer Hütte noch deutlicher wurden. An der Hütte angekommen verstauten wir zuerst unser Gepäck in unserem gemeinsamen Lager, in dem wir die folgenden zwei Wochen schliefen. Die restliche Zeit, die uns bis zum Abendessen noch blieb, nutzen wir, um die umliegende Gegend zu erkunden. Im Licht des Sonnenuntergangs gingen wir zum anliegenden Fluss hinunter und bauten zusammen einen Staudamm, in dem wir später auch baden konnten. Da das Gebiet mit Moor-, Nadelbaum- und Grasflächen abwechselte, liefen uns auch einige Frösche und wild lebende Rehe über den Weg, nicht zu vergessen die vielen Kühen, die auf den Weiden grasten. Einige von ihnen ließen sich auch von uns streicheln.

Um 18.00 Uhr ging es dann wieder zurück zur Hütte, in der jeden Abend eine wärmende Mahlzeit für uns gekocht wurde. Abends saßen wir in der Stube zusammen, aßen, redeten, spielten Kartenspiele oder besprachen die Wanderziele des nächsten Tages.

 

Am Dienstag in aller Frühe begann dann auch schon unser erster richtiger Wandertag. Nach einem schnellen Frühstück ging es mit gepackter Tagesausrüstung und Proviant für den Mittag zu unserm ersten Wanderziel, dem Nörderberg, auf 2700 Meter hoch. Auf dem Weg dorthin absolvierten wir auch noch einen Klettersteig, der durch eine Schlucht über einem strömenden Wasserfall entlangführte.

Nach einer kleinen Pause und einer bereits wundervollen Aussicht ins Tal, endete der erste Zwischenstopp, wonach der richtige Aufstieg begann. Mit jedem Schritt, den wir auf den 800 Höhenmetern zurücklegten, wurde die Luft dünner und die Beine immer schwerer. Man würde zunehmend langsamer, doch wurde mit jedem Schritt die Welt unter uns auch ferner und der Gipfel immer greifbarer. Stunden verbrachten wir mit tiefgreifenden Gesprächen und wechselten zwischen Laufen und Pausieren ab. Nach einigen Stunden des Aufstiegs konnten wir schon tief ins Tal hinunterblicken und den Geräuschen der dort beheimateten Murmeltiere lauschen. Heimlich von diesen aus Geröllspalten und Erdlöchern beobachtet, kämpften wir uns weiter den Berg hinauf. Als die Kuhglocken schließlich auch nur noch aus der Ferne zu hören waren und sich die langen Berghänge langsam in breite Geröllfelder verwandelten, kam ein starker Luftstrom auf, der dafür sorgte, dass wir von einer weißen Wetterwolke umschlossen wurden. Egal, wo man das Auge hinrichtete und wie sehr man sich anstrengte, etwas zu erkennen, alles um einen herum war in leuchtendem, undurchlässigem Weiß versunken. Das weite Tal unter uns, das Gipfelkreuz über uns und die Wege vor und hinter uns verloren sich im Dreimeterradius. Gespenstig war es auf einem Weg zu laufen, dessen Ende man nicht erkennen konnte.

Trotzdem ging es weiter und immer höher, bis wir schließlich nur noch auf die Wolken hinabschauen konnten. Jetzt war es nicht mehr weit und das Gipfelkreuz war auch schon klar über unseren Köpfen zu erkennen. Mit vereinten Kräften bewältigten wir auch noch die fehlenden Höhenmeter, sodass wir schließlich als Gruppe den Gipfel erreichten.

Stille herrschte, wir waren zugleich erschöpft wie fasziniert. Ein Leuchten spiegelten sich auf den Gesichtern unserer Gruppe wider. Gefesselt vom Anblick der emporragenden Landschaft um uns herum und gefangen von der Freude vom Erreichen des Ziels, war man einen Moment lang wie versteinert und ließ den kühlen Gipfelwind lautlos an sich vorbeiziehen.

Nach dem Eintrag ins Gipfelbuch machten wir uns dann wieder an den Abstieg Richtung Hütte, die weit unten im Tal zu erkennen war. Wir schafften es noch pünktlich zum verdienten Abendessen, womit der erste zehnstündige Wandertag endete.

 

Am nahegelegenen, mit guten Kletterwänden ausgestatteten Fernergries verbrachten wir auch noch einige weitere Tage mit Klettern und Mehrseillängen, gemütlich in der Sonne liegend, mit Karten-, Volleyball- und Geländespielen. Die Jugendleiter brachten uns einige neue Kartenspiele bei und nahmen sich viel Zeit, um uns alle Spielregeln und Taktiken, die sie sehr gut beherrschten, nahe zu bringen. So wurden ausgedehnte Pokerspiele und Skatrunden zur Tagesordnung. Abgesehen von Karten, spielten wir natürlich auch unser beliebteres Geländespiel capture the flag, bei dem man die Flagge des gegnerischen Teams suchen und auf seine Seite bringen musste, ohne dabei vom anderen Team gefangen zu werden. Bei einem anderen abenteuerlichen Geländespiel liefen wir zu Beginn der Dämmerung zum Fernergries, um dort gemeinsam Schmuggeln zu spielen. Unter schwarzen Wolken, die sich bald zu Gewitterwolken formatieren sollten, wurde in zwei Teams gespielt. Das Schmugglerteam sollte im Schutze der Dunkelheit unterschiedliche Gegenstände von einem Ort zum anderen transportieren, ohne dabei vom Team der Polizisten, die Taschenlampen nutzen durften, erwischt zu werden. Als es auf dem Rückweg dann auch noch anfing zu regnen, konnten wir Zeugen eines Berggewitters werden, dessen Blitze in der Dunkelheit am Horizont die Berge berührten. Beendet haben wir diesen Tag noch mit einer ausgedehnten Runde Werwolf, welche durch das tobende Gewitter und das Donnern dramatisiert wurde.

 

In lebendiger Erinnerung bleibt auch der Aufstieg zu den Seelesseen, an denen wir eine Nacht biwakierten wollten. Mit vollen, schweren Rucksäcken ging es über Wiesen, Brücken und Bäche, bis wir schließlich erschöpft unseren Schlafplatz auf 2800 Metern erreichten. Am Ufer einer der Seen schlugen wir unsere Schlaflager auf und bauten uns noch vor Einbruch der Dunkelheit einen Windschutz aus dem umliegenden Geröll. So schnell wie ein erlebnisreicher Tag ausklang, folgte auch schon eine wundervoll schöne Nacht. Den Sternen näher als je zuvor, verlor man sich träumend im funkelnden Nachthimmel.

 

Geweckt wurden wir früh am nächsten Morgen von der grell strahlenden Morgensonne. Worauf wir bei Sonnenaufgang direkt weiterliefen zu unserem Ziel, dem Glockturm. Über schmale Pfade, auf schneebedecktem, rutschigem Untergrund und an steilen Abgründen vorbei ging es nochmal drei Stunden bergauf in Richtung Gipfel. Gerade das letzte Stück, eine steile, rutschige, geröllbedeckte Flanke, die nochmals alle Konzentration forderte, da jeder Schritt perfekt sein musste, war nervenaufreibend. Doch auch diese Passage schafften wir alle unversehrt. Die Belohnung war der Blick in die Ferne, man sah hunderte Kilometer weit. Dutzende Bergspitzen, die wie Stacheln aus dem Grund in den Himmel ragten. Die Jugendleiter erklärten uns die Namen der einzelnen Gipfel: Königsspitze, Ortler, Piz Buin, Verpeilspitze, Watzespitze, Wildspitze, Hintere Schwärze, Weißkugel und viele mehr.

 

Am Wochenende stand dann das groß angekündigte Sektionsfest zum 150-jährigen Bestehen des Gepatschhauses an. Von Bläsern wurden feierliche Töne angestimmt. Später folgte ein kleiner Gottesdienst in der anliegenden Kapelle. Schöne Dankesreden wurden gehalten und die Stimmung war bestens.

 

Die Folgewoche wurde bestimmt von der Kaunertaler Gletscherwanderung, die allen Beteiligten nochmals Kraft und höchste Aufmerksamkeit abverlangten. Den frischen Morgentau unter den Füßen begann am Montag die Wanderung hinauf auf den Gletscher. Auf dem Weg gruben wir mit verschiedenen Werkzeugen ausgestattet immer wieder kleine Rinnsale, sodass das Regenwasser vom Weg abfließen konnte und dieser nicht in einem Supf verlief. Am Gletscher angekommen wurden die Steigeisen unter die Schuhe geschnallt und es ging auf dem blanken Eis hinauf. Unglaublich, wie gut wir mit den Eisen Halt auf dem harten Gletschereis finden konnten. Der letzte Teil hinauf zur Rauhekopfhütte führte wieder durch Felsen und Geröll. Durch das starke Abschmelzen der Gletscherzunge muss der Weg so gut wie jedes Jahr neu gelegt werden. Genau das taten wir. Anstelle eines steilen Anstiegs durch feinen Kies, der nicht gut zu begehen war, führten wir den Weg in einer kleinen Schlaufe über moderat ansteigende Felsen, wir bauten Steinmännchen und markierten diese anschließend mit roter Farbe. Wir erreichten die Rauhekopfhütte nach einem kurzen Nieselregen wieder bei strahlendem Sonnenschein und konnten sogar noch in dem unterhalb der Hütte liegenden See baden.

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