Klettern mit Behinderten warum eigentlich?
Klettern mit Behinderten warum eigentlich?
Ja, warum bieten wir eigentlich Klettern für Behinderte an, so etwas gab es früher doch auch nicht. Behinderte gab es früher weder auf Bergtouren noch an Kletteranlagen, sondern sie waren nur dort, wo sie – scheinbar – hingehörten, in betreuten Einrichtungen.
Deshalb war ich auch recht erstaunt, als vor mehreren Jahren beim Klettern in Nieder-Olm auf einmal behinderte Kinder - eines gar mit Rollstuhl - mit ihren Betreuern auftauchten. Was wollen denn DIE hier, die können doch gar nicht klettern und beeinträchtigen mit ihrer Anwesenheit auch noch mein angenehmes Kletterfeeling.
Ich wurde aber schnell eines Besseren belehrt. DIE können tatsächlich klettern und als Kinder waren sie gar angenehmer als manches „normale“ Kind. Bei nachfolgenden Kontakten mit dieser Gruppe merkte ich schnell, dass ich eigentlich kaum etwas von Behinderungen weiß, woher denn auch. Bei Behinderung fielen mir höchstens Rollstuhlfahrer ein, vielleicht noch Menschen mit Down-Syndrom, Blinde oder alte, demente Menschen. Aber selbst von diesen Behinderungen wusste ich wenig, denn ich hatte mit solchen Menschen ja nie etwas zu tun.
Heute weiß ich, dass Behinderung nur ein Sammelbegriff für alle möglichen Einschränkungen ist. Schauen wir also mal genauer hin, welche Arten von Behinderungen es gibt (kann alles in Wikipedia nachgesehen werden):
Körperliche Behinderungen. Außer sogenannten Körperversehrten im Rollstuhl gibt es z.B. noch Menschen mit angeborenen Einschränkungen wie Spina bifida, Spastik, Hemiparese oder Ataxie, Begriffe, die ich früher nie gehört hatte, ganz zu schweigen z.B. von diastrophischer Dysplasie. Dazu kommen dann noch Menschen mit krankheitsbedingten Einschränkungen, ausgelöst z.B. durch Multiple Sklerose, Parkinson oder Schlaganfall.
Geistige Behinderungen. Die bekannteste geistige Behinderung ist wohl das Down-Syndrom. Hierzu gehören aber auch die Mikrozephalie (bekannter jetzt durch die aktuelle Diskussion um den Zika-Virus) und verschiedene Formen der Entwicklungsverzögerung.
Psychische Behinderungen. Diese Art von Behinderung ist oft die Folge von psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie oder Depression. Im weiteren Sinne sind hierzu aber auch die verschiedenen Formen von Autismus und ADHS zu zählen.
Sinnesbehinderungen. Die bekanntesten dieser Behinderungen sind Blind- und Taubheit.
Über 10 Millionen Menschen mit Behinderung in Deutschland.
Die obige Liste ließe sich noch stark erweitern, aber ich habe hier nur die Behinderungen der Teilnehmer der KLETThERAPIE-Kurse aufgeführt. Es tut sich also ein ganzer Kosmos von Einschränkungen auf, der in Deutschland im Jahre 2013 (lt. Pressemitteilung Nr. 168 des Statistischen Bundesamtes vom 11.05.2015) etwa 10,3 Millionen Menschen betraf – und das sind nur die Menschen mit einer amtlich anerkannten Behinderung.
In diesem Zusammenhang ist interessant, dass im deutschen Sozialrecht Behinderung als Umschreibung für eine gravierende Beeinträchtigung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Teilhabe einer Person gebraucht wird, wobei die Beeinträchtigung zum einen durch Eigenschaften der behinderten Person selbst, zum anderen aber durch Umwelt- und soziale Faktoren verursacht wird, d.h.
die Menschen sind nicht nur behindert, sie werden auch behindert.
Ich möchte nun etwas von meinen fünf Jahren Erfahrung mit der KLETThERAPIE erzählen. Dazu komme ich erst einmal auf die oben genannten Behinderungsarten zurück. Diese Unterscheidungen machen insofern Sinn, als sie Auswirkungen auf das Klettern haben.
Klettern mit unterschiedlichen Behinderungen:
Menschen mit geistiger, psychischer oder Sinnesbehinderung können genauso gut wie jeder nichtbehinderte Mensch klettern, wenn sie eine eigene Freude am Klettern entwickeln. Die meisten von ihnen können auch das Sichern lernen und praktizieren, sind also – zumindest in der Kletterhalle – vollwertige Kletterkameraden (siehe hierzu auch die Erfahrungen der inklusiven Klettergruppe des DAV Karlsruhe).
Menschen mit körperlichen Behinderungen sind dagegen oft auf spezielle Hilfen angewiesen. Dies fängt beim Zugang zur Halle an (kann ein Rollstuhlfahrer ohne Hilfe in die Kletterhalle kommen?) und geht bis zu den Kletterrouten. Körperlich Behinderte können z.B. nicht auf kleinen Tritten stehen bzw. haben Schwierigkeiten das Gleichgewicht zu halten, wenn die Tritte zu eng beieinander sind. Die vertikalen Trittabstände müssen relativ klein sein und es fällt ihnen meist schwer, Untergriffe, Aufleger und kleine Griffe zu halten.
Meine Erfahrungen mit der KLETThERAPIE beziehen sich aber nicht nur auf die Unterschiede der verschiedenen Behinderungsarten, sie betreffen auch die behinderten Menschen selbst. Früher hätte ich vermutet, dass man bei einer Behindertenaktivität eher sich grämende Menschen antrifft, die mit ihrem Schicksal unzufrieden sind. Doch weit gefehlt:
Trotz Behinderung dem Leben zugewandt:
Bei unseren erwachsenen Kursteilnehmern treffe ich hauptsächlich auf positiv eingestellte, dem Leben zugewandte Menschen, die trotz ihrer Behinderung ihr Leben meistern und sich an der sportlichen Betätigung des Kletterns erfreuen. Auch bei den Kindern ist das nicht viel anders, auch bei ihnen gibt es genauso viel Geschrei, Geraufe und Gelächter wie bei jeder anderen Kindergruppe auch.
Inklusion als Ziel:
Was möchte ich eigentlich mit meinen obigen Ausführungen mitteilen? Nun ganz einfach, 10 Millionen Menschen, die im Endeffekt auch nicht viel anders sind als wir „Normale“, dürfen nicht aus dem Berg- und Klettersport, aus DAV, Sektion und Kletterhalle ausgeschlossen werden. Sie haben genauso ein Recht auf tolle Natur-, Berg- und Klettererlebnisse wie jeder andere Mensch auch. Dies hat auch der DAV erkannt und im November 2014 das Positionspapier „Inklusion leben! Menschen mit und ohne Behinderung treiben gemeinsam und gleichberechtigt Bergsport“ veröffentlicht.
Auch der Vorstand der Sektion Frankfurt hat deshalb seit 2010 die KLETThERAPIE-Gruppe bei ihren Aktivitäten unterstützt. Dabei sollten wir uns aber im Klaren darüber sein, dass wir mit der KLETThERAPIE noch auf der Stufe der Förderung stehen, d.h. wir bieten unseren behinderten Teilnehmern die Möglichkeit des betreuten Kletterns in separaten Kursen. Die Realität um uns herum ist aber schon weiter. Da geht es nicht mehr nur um die separate Förderung Behinderter, sondern um deren Inklusion in die Gesellschaft.
KLETThERAPIE-Teilnehmer in die Aktivitäten der Gruppen einbinden!
Für die Kletterer der Sektion bedeutet dies aus meiner Sicht, sich Gedanken darüber zu machen, wie sie die Kursteilnehmer der KLETThERAPIE in ihre üblichen Aktivitäten einbinden können. Kann z.B. der KCF oder die Seniorenklettergruppe der Bergsteigergruppe einige unserer erwachsenen Kursteilnehmer aufnehmen und in ihre Kletteraktivität integrieren? Kann dies die Jungmannschaft oder die Jugendgruppe mit einigen unserer jugendlichen Kursteilnehmer tun?
Das Kletterzentrum Frankfurt könnte z.B. überprüfen, ob wirklich ausreichend behindertengerechte Kletterrouten zur Verfügung stehen, ob nicht zumindest einer der Kinderkletterclubs als Club mit Inklusion organisiert werden kann, ja und ob nicht noch jemand eine andere tolle Idee hat, wie Behinderte in den Kletterbetrieb integriert werden können.
Und alle anderen Gruppen der Sektion könnten überlegen, wie sie behinderte Menschen in ihre Gruppenaktionen einbinden können. Vielleicht gibt es da ja auch schon eine ganze Menge Aktivitäten, die nur mir nicht bekannt sind.
Ich würde mich freuen, wenn ich mit diesen Ausführungen einer Diskussion über die Frage der Integration behinderter Menschen in die Frankfurter DAV-Sektion genutzt hätte. Über entsprechende Rückmeldungen an meine Mailadresse tug.groeger@arcor.de würde ich mich auf jeden Fall sehr freuen.
Text: Georg Gröger; Fotos: Wolfram Bleul