Wenn Alle Klettern – Schwingen oder Baumeln

Kurzbericht über den Kletterausflug einer Förderschulklasse.

„Das schaffe ich ja nie“, mit diesen Worten betritt Ana-Maria die Kletterhalle des DAV in Preungesheim. Sie scheint sichtlich beeindruckt von der Höhe des Gebäudes und davon, dass es tatsächlich Menschen gibt, die mit Klettergurt und Seil in eben diese hinaufsteigen wollen. Ihr Interesse an der sportlichen Herausforderung ist geweckt. Wer Ana Maria kennt, kann dies an ihrem verschmitzten Lächeln ablesen.

Freundlich werden wir von Monika und ihrem Team der KLETThERAPIE begrüßt. Nachnamen spielen dabei keine Rolle, hier wird sich geduzt. Der Klettersport und das gemeinsame sportliche Erlebnis für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer stehen im Vordergrund. Die positive, zugewandte und zugleich zupackende Herangehensweise der „Klettherapeuten“ lässt dabei keinen Zweifel daran, dass mit Alle auch wirklich Alle gemeint sind, sodass zuletzt sogar einer der Schulbusfahrer sein Glück an der Wand versuchen darf. Im Mittelpunkt stehen allerdings Katja, Lidia, Karolina, Farida und Ana Maria. Sie sind Schülerinnen der Viktor-Frankl-Schule einer Schule mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung in Frankfurt.

Bei der Planung des Kletterevents habe ich vor allem an Farida und Ana-Maria gedacht. Insbesondere für sie war es mir wichtig, dass sie sich mal einer so spannenden sportlichen (physisch und psychisch) Herausforderung stellen… da ich ihren Ehrgeiz kenne dachte ich mir auch, dass sie einige Routen bewältigen könnten – und da ich ja selbst eine Zeit gebouldert habe kenne ich das Gefühl wie es ist, sich eine Route nicht zuzutrauen und diese dann doch zu schaffen. Meiner Meinung nach ist das eine Besonderheit des Klettersports die es sonst so nirgends gibt vor allem für unsere Schülerinnen und Schüler. Neben diesem mentalen über sich hinaus wachsen ist die Verbindung von Hand, Arm und Bein-Koordination zusätzlich ein tolles psychomotorisches Training.

Für Katja, Lidia und Karolina, waren mir eher grundlegendere Erfahrungen wichtig, so z.B. die große Halle wahrnehmen, Interaktion mit fremden Erwachsenen, den Klettergurt und das Hängen am Seil kennen lernen, Schwingen, einen Ausflug in eine ihnen gänzlich unbekannte "Welt" erleben.

Nach der kurzen Gymnastik in der großen Runde geht es an die Wand bzw. in den jeweils passenden Klettergurt. Jede Schülerin wird dabei von mindestens zwei Helferinnen und Helfern darin unterstützt, sich entsprechend der eigenen Fähigkeiten mit den Anforderungen des Klettersports auseinanderzusetzen.

Während Katja und Karolina erste Erfahrungen mit dem Schwingen und Baumeln im Klettergurt sammeln, steht Lidia an der Kletterwand und betastet noch etwas misstrauisch die für ihre Hände ungewohnten Klettergriffe.

Alle drei sind in ihrem Alltag auf einen Rollstuhl angewiesen und es erfordert von ihnen eine Menge Mut und Überwindung sich den ihnen unbekannten Bewegungsherausforderungen zu stellen. Ana Maria und ihre Freundin Farida haben zu diesem Zeitpunkt bereits einige Routen in den Armen. Im Alltag sind auch sie auf Hilfsmittel zur Fortbewegung angewiesen. Die gezielte Koordination von Arm- und Beinbewegungen sowie das Festhalten an den Klettergriffen ist für beide eine sehr komplexe Herausforderung.

Ihr stolzes Lächeln lässt bereits zu diesem Zeitpunkt erahnen, wie gut es sich für die beiden anfühlen muss, die Kletterwand bewältigen zu können. Ob mit oder ohne Hilfe scheint dabei keine besondere Rolle zu spielen. Der Sportsgeist, den das gesamte Team der KLETThERAPIE auf so unaufgeregte und doch eindrückliche Weise versprüht, scheint hoch ansteckend zu sein.

Am Ende unserer Zeit in der Kletterhalle gelingt es Ana-Maria, eine der langen „Das schaffe ich ja nie – Kletterrouten“ bis nach ganz oben durchzuklettern. Diesen Moment und das Gefühl über sich selbst hinausgewachsen zu sein wird sie so schnell ganz bestimmt nicht vergessen.

 


Text: Arvid Hanisch, Förderschullehrer

Fotos: Wolfram Bleul

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