Klettern mit GBS – ein Brief von Michael G

Wie Klettern im Kampf gegen eine seltene Immun-Erkrankung hilft

Die GBS ist eine äußerst seltene Immun-Erkrankung des Nervensystems. Die sogenannte Myelinschicht der Nervenzellen wird zerstört. Diese wiederum ist verantwortlich für das Ansteuern der Muskulatur. Bildlich vorstellbar wie ein Stromkabel, bei dem die Isolierschicht weg schmilzt und somit fehlt.
Bei meiner Erkrankung war es wie ein kompletter Kabelbrand im Sicherungskasten eines Hauses. Innerhalb von 24 Std. war ich von Kopf bis zum Zeh komplett gelähmt. Nichts konnte ich mehr bewegen. Herz und Lunge können ebenfalls betroffen werden, was bei mir Gott sei Dank nicht der Fall war. Sonst war so gut wie alles, was Muskel heißt, außer Gefecht. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich erfahren, was Erdanziehung bedeutet. Du fühlst dich mit klarem Geist in einem leblosen Körper. Die GBS kann aber auch in anderen Formen auftreten, schwächer oder stärker, mit Folgen und ohne Folgen; individuell verschieden.
Ich habe bei der Ausgabe der GBS wohl 2x hier geschrien, was auch zu mir passen würde. Woher die GBS kommt, weiß keiner bisher genau. Stress, Medikamente, ein Infekt, alles möglich. Zu wenige Fälle im Jahr, also auch keine Forschung. Damit wird kein Geld verdient.
Nach 13 Monaten Rehaklinik, 10 Jahren intensiver Physio- und Ergotherapie 5 mal wöchentlich, führe ich ein eigenständiges Leben. Eingeschränkt sind immer noch Finger, Hände, Beine und Füße, aber es reicht, um mich frei zu bewegen. Und ich bin fest überzeugt, da geht noch mehr!

Im Jahr 2018 bin ich per Zufall auf das Klettern beim DAV gestoßen. Nach einem Telefonat mit Frau Gruber, wurde ich dann zum „Schnuppern“ eingeladen.
Hut ab vor den Menschen, die das möglich machen und Hut ab vor den Menschen mit Behinderung, die sich das zutrauen. Ob das MS ( Multiple Sklerose ) ist, Trisomie 21, Querschnittslähmung etc., da müssen viele Ängste überwunden werden.
Selbstverständlich spielt da auch Höhenangst eine Rolle, die man eigentlich nicht
haben muss, weil man ja am Seil von Profis gesichert ist, aber sie schwingt zunächst immer mit. Und Vertrauen ist ganz wichtig. Das hatte ich aber von Anfang an.
Ich hatte vor der Höhe keine großartige Angst. Mehr davor, wieviel meine Beine an Kraft haben, sich meine Hände öffnen lassen und was meine Arme noch an Kraft aufbringen würden. Hinzu kommt, dass ich kaum Rückmeldung aus meinen Füßen und Zehen bekomme, so dass ich keinen sicheren Halt in meinen Füssen spüre. Es gibt so gut wie keine Rückmeldung an das Gehirn ob sicher oder nicht. Aber - um es vorweg zu nehmen - das wird sich im Laufe des Berichts ändern, wie so Vieles.
Ich habe an diesem Tag im wahrsten Sinne des Wortes Feuer gefangen. Vom ersten Moment an wusste ich, dies ist meine Chance, meinen Körper, meine Kraft, meine Koordination und noch Einiges mehr zu verbessern. 5 x war ich an diesem Tag in der Wand, unfassbar. Sämtliche Kräfte verbraucht, sämtliche noch vorhandenen Muskeln gespürt, aber glücklich und stolz wie lange nicht mehr. Und immer dieser Ehrgeiz ganz nach oben zu kommen, egal wie.

Die Betreuer vor Ort machen das überaus sensibel und professionell. Sie haben immer ein gutes Gespür dafür, was sich „der da“ in der Wand zutrauen darf. Sie bremsen oder motivieren den Kletternden, nehmen Ängste und geben das Gefühl von Sicherheit.
Dieser Schnupper-Tag hat etwas in mir verändert. Wieder ein Ziel zu haben, etwas zu tun, was meinen Körper und meinen Geist in eine neue Balance bringt.
Ich bin verwundert, wie viele Reserven noch in meinem Körper stecken, die beim Klettern abgerufen werden. Der gesamte Körper ist in einem ständigen Austausch an Informationen. Automatismen finden wieder statt, die sonst in Vergessenheit geraten waren und nur schwer wieder zu erlernen sind. Ich war so überrascht von meinem Körper und hätte nie erwartet, dass so etwas noch bei mir geht. Es tut nebenbei auch dem Selbstbewusstsein ganz gut. Nicht jeder Gesunde geht freiwillig in diese Wände.
Beim nächsten Termin „Vertikal Gemeinsam“ - hier klettern Gesunde und Behinderte gemeinsam - musste ich es mir dann beweisen. Einmal ganz nach oben auf ca. 14 Meter - immer im Wettbewerb mit mir selbst. Passt zu mir, war immer schon eines meiner unnötigen Probleme in meinem Leben. Ich hab’s tatsächlich geschafft, bestimmt dank der Hilfe meines Kletterpartners, der ein wenig mit Kraft am Seil mitgeholfen haben wird. Ich weiß es tatsächlich nicht.

Aber ist das mein Ziel, habe ich mich dann gefragt. Ist Höhe mein Ziel?
Nein, ist es nicht. Technik, Kraftaufbau, Koordination, Nerven zu sensibilisieren und kontinuierlicher Muskelaufbau, das ist mein Ziel. Und das geht auf 5 Metern genauso gut wie da oben in 14 Metern.
Also lerne ich die verschiedensten Dinge und ich scheitere immer wieder einmal, aber ich gebe nicht auf und komme somit jedes Mal ein kleines Stück weiter. Und ich sehe, wie plötzlich Muskeln wieder aktiv werden, die ich seit 10 Jahren nicht mehr gespürt oder wahrgenommen habe. Sie können zwar noch nicht viel, aber sie haben gezeigt dass sie da sind.
Meine Ergotherapeuten finden, dass sich die Aktivität und Beweglichkeit meiner Hände zwischenzeitlich wesentlich verbessert haben. Meine Physiotherapeuten fragen sich, woher ich plötzlich diese Kraft habe und meine Füße, ja meine Füße und Zehen, geben auch Rückmeldung, da wo 11 Jahre nix zu spüren war.
Ich habe wirklich viel in den letzten Jahren gemacht, was sicherlich vorbereitend gut für das Klettern war. Mit viel Aufwand, Schmerzen und auch Frust und Rückfällen bzw. Stagnation. Aber das war es wert. Das Klettern ist für mich die perfekte Ergänzung zu meinen sonstigen Therapien. Mein Gleichgewicht verbessert sich, Treppen zu steigen fällt mir etwas leichter, meine Bauch- und Beckenmuskulatur ist stabil und vielleicht hat sich auch meine Konzentration verbessert. Diese ist auch sehr wichtig, denn ohne Konzentration kommt man in der Wand nicht sehr weit.

Und eines ist auch ganz wesentlich. Eine tolle Gemeinschaft ist das unter den Kletterern. Alle locker, alle achtsam, alle freundlich und keine Konkurrenz.
Für mich steht fest: ich bleibe dabei so lange ich kann und die Kraft habe.
In jüngerer Zeit war ich ein paar Wochen bouldern. Ich habe Dinge gemacht, an die ich nie geglaubt hätte. Es ist anders. Viel konzentrierter, viel aufwendiger und da ist niemand, der einen sichert. Egal was ich mache, Klettern oder Bouldern, Beides ist ein großartiger Sport und hat eine enorme positive Auswirkung auf meine Gesundheit und weitere Entwicklung. Zudem lernt man immer wieder neue Menschen kennen und wird dadurch Teil einer neuen Gemeinschaft.
Dank dem DAV und seinen tollen Betreuern habe ich wieder etwas für mich gefunden, das mir neuen Ansporn und Kraft gibt, weiter an mir zu arbeiten und nicht aufzugeben. Es verleitet mich immer wieder, mich an Dinge heran zu wagen, die für mich undenkbar waren wie zum Beispiel wieder zu tauchen oder Ähnliches.

Übrigens: zum Klettern selbst braucht man zunächst keinen Mut, allerdings bedarf es ein wenig Mut zur Überwindung, einmal etwas anderes für sich und gegen seine Einschränkungen zu tun. Nach diesem ersten Schritt wachsen Mut, Vertrauen und Erfolg ganz langsam von alleine mit.
Also Mut zur Überwindung !
Mit freundlichen Grüßen
Michael G.
(Fotos: Wolfram Bleul)

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