Hochtouren im Sommer 2021 im Wallis
Wallis 2021, anspruchsvolle Hochtouren, Hüttenmäuse und Gletscherspaltensturz
Auf Grund des ungünstigen Wetters im Juli 2021 (starke Schneefälle im Hochgebirge) konnten wir (Marc, Christoph, Egbert) die geplanten Touren im Berner Oberland nicht durchführen. Nach 3 Telefonkonferenzen und Terminverschiebungen entschieden wir uns für das französischsprachige Wallis, das Arolla-Tal, als Ausgangspunkt.
Also fuhr ich am 13.07. nach der Arbeit nach Rodgau zu meinem Freund Egbert vom DAV Frankfurt am Main. Am nächsten Tag ging es zu viert (+Marc und Christoph) im Auto weiter nach Arolla ins Hotel „Aigulle de la Tza“, knapp 1900 m hoch gelegen, zur 1. Akklimatisierung. Wobei – die Bezeichnung „Hotel“ ist bei Stockbetten und Dusche und WC auf der Etage etwas übertrieben. Aber: Warm, trocken, und ordentliche Verpflegung bei moderaten Preisen, bezogen auf die Schweiz.
Am 15.07. stand der Aufstieg zur „Cabane des Vignettes“ (3.152 m) auf dem Programm. Die ca. 1.200 hm wurden in ca. 4 h absolviert, davon 1,5 h über Glacier de Piece wie üblich angeseilt. Erstaunlicherweise war die Hütte fast leer, trotz Hochsaison. Wegen Corona galt Maskenpflicht auf den Gängen. Vermutlich wegen der Gefahr von Bettwanzen blieben die Rucksäcke im Eingangs-bereich unten und das Nötigste wurde in Plastebehältern vor den Zimmern deponiert – sehr ungewöhnlich. So richtig gemütlich präsentierte sich die Hütte auch weiterhin nicht: Im kühlen Gast- und Aufenthaltsraum standen gleich neben dem Tresen 3 große 240-Liter-Müllbehälter für Blechbüchsen incl. einer Zerquetschungsapparatur, für PET-Flaschen und für den Restmüll – sehr „appetitlich“…Das Abendbrot war recht ordentlich, zum Frühstück es lediglich 1-Weg-verpackte Nahrung.
Am 16.07. waren die Berge weg. Draußen fiel abwechselnd Regen, Schnee und Graupel – Hüttenkoller war angesagt. Gleich früh erfuhren wir, dass der am Montag geplante Übergang zur Cabane de Dix auch gestrichen werden musste, da die Hütte wegen Corona 2 Wochen geschlossen worden war. Das trübte die Stimmung zusätzlich ein. Da nichts zum Lesen vorhanden war, wurde Skat gespielt, Knotenkunde geübt, geruht und irgendwann war der Tag nach einem kurzen Ausflug in den Nebel zu Ende.
Am 17.07. weckte uns strahlender Sonnenschein und wir brachen gegen 08:00 Uhr zum Gipfel „L’Evèque“ (3.716 m) auf. Nach der Schlechtwetterperiode waren wir die Ersten, die diesen Berg besteigen wollten. Dabei handelt es sich zunächst um eine Gletschertour über den Glacier du Mont Collon. Nach etwa 2 h waren die Spuren zu Ende. Das führte dazu, dass unser Leichtester an der Spitze der Seilschaft (Marc) über den Firn „schwebte“, Christoph etwas einsackte, ich immer einsackte und Egbert als Letzter die Spur verfestigte. Mit Annäherung an den Gipfel glich sich das aus, zumal der Gletscher bzw. der Firn bis zu 45° steil wurde. Die letzten 100 hm mussten dann frei und ausgesetzt geklettert werden. Das war eine wacklige und brüchige Angelegenheit, welche volle Konzentration erforderte. Gegen 12:00 Uhr waren wir bei herrlicher Aussicht auf dem Gipfel. Der Rückweg war dann ähnlich zäh, da mittlerweile der Firn wesentlich sulziger geworden war.
Bei erneutem Sonnenschein ging es am Sonntag, 18.07.2021, zu dritt, ohne Marc, auf den „Pigne d Àrolla“ (3.787 m). Diese Gletschertour ist bei guten Bedingungen relativ einfach. Demzufolge standen wir bereits 09:30 Uhr oben, genossen die Aussicht und konnten mit den Lieben zu Hause telefonieren. Beim Abstieg durch den knietiefen Sulz begegnete uns ein Tourenskifahrer, den wir besonders im Abstieg ein bisschen beneideten… Beim Zwischenstopp auf der Hütte bemerkte Egbert, dass seine Müsliriegel und Sesamkörner auch den Hüttenmäusen gemundet hatten. Mit entsprechend weniger Nahrungsvorräten ging es hinunter nach Arolla, wo wir entschieden, noch eine Nacht im Hotel „Aigulle de la Tza“ zu verbringen und dann weiter zur Täschalp, östlich vom Zermatter Tal, zu fahren.
Also fuhren wir am 19.07. zunächst nach Täsch und dann hoch zur Täschalp auf ca. 2.200 m Höhe. Der Aufstieg zur Täschhütte (2.701 m) dauerte etwa 2,5 h. Edelweiß am Wegesrand luden immer wieder zu Fotopausen ein. Die neu errichtete Täschhütte wird freundlich, zuvorkommend geführt und mit einem reichlichen 4-Gang-Abendmahl – sehr angenehm. Die meisten Bergsteiger wählen sie als Ausgangspunkt zur Überschreitung des Alphubels. Unser Ziel war jedoch das Rimpfischhorn (4.199m), eine ziemlich anspruchsvolle Unternehmung, an dem wir vor 2 Jahren von der Brittaniahütte aus gescheitert waren.
Der 20.07. begann um 03:15 Uhr mit Frühstück, ca. 04:00 Uhr ging es im Licht der Stirnlampen los. Ein einfacher Wanderweg führte uns zunächst zu Firnfeldern auf ca. 3.400 m, dann steil abwärts hinunter auf den Mellichgletscher (ca. 3.200 m) Dieser empfing uns hart gefroren (und besonders im Schatten eiskalt), so dass wir neben der tiefen Spur auf dem harten Firn bis zum Rimpfischsattel in ca. 4.000 m gut vorankamen. (Über die mehr als knietiefe Spur machte ich mir da noch wenig Gedanken.)
Nach einer kurzen Pause ging es in einer steilen Firnrinne hinauf zum ausgesetzten Südwestgrat. Wir entschieden uns, die doch recht ausgesetzten und mit Schnee und Eis bedeckten Kletterstellen bis zum III. Grad angeseilt zu klettern. Egbert stieg vor, Christoph und ich folgten versetzt. Leider waren noch andere Seilschaften am Grat unterwegs. Das führte dazu, dass wir immer wieder warten mussten und im Schatten den frostigen Wind spürten. Den Gipfel erreichten wir ca. 11:30 Uhr. Nach einer kurzen Pause mit herrlicher Gipfelschau begannen wir den Abstieg. Da wir nur ein 40m-Seil dabeihatten, gestaltete sich das Abseilen wesentlich länger und komplizierter als gedacht. So erreichten wir den Rimpfischsattel erst gegen 13:30 Uhr, viel zu spät, wie sich später herausstellen sollte. Beim zunächst flotten Abstieg merkten wir bald, dass die Spur auf Grund des vielen Neuschnees vom Juli, der sich noch nicht richtig gesetzt hatte, sehr weich war. Wir sackten ständig ein, immer bis zum Knöchel, oft bis zum Knie und gelegentlich bis zur Hüfte. Ich als Erster und Leichtester hatte das Problem relativ gut im Griff, doch besonders Egbert sackte mit seinen langen Beinen oft vollkommen bis zur Hüfte ein, und hatte riesige Probleme, sich zu befreien. Manchmal war er der Verzweiflung nah. Dementsprechend lange zog sich der Abstieg hin. Die Täschhütte erreichten wir dann erst gegen 18:00 Uhr. 19:30 Uhr waren wir am Auto und ca. 20:00 Uhr im Hotel „Bergfreund“ in Herbriggen. Auf Grund der Erschöpfung nach ca. 15 h Weg und ca. 1500 m im Aufstieg und 2000 m im Abstieg hielt sich der Gesprächsbedarf beim reichlichen und köstlichen 4-Gang-Menü in Grenzen. Am nächsten Tag fuhren wir gut ausgeschlafen über Frankfurt nach Hause.
Am 10.-11.08.2021 fuhr ich erneut über Frankfurt am Main ins Wallis nach Saas Grund. Nach ein paar Tagen Akklimatisierung war ab 15.08. die „Spaghetti-Runde“ geplant. Wie immer nahmen wir Quartier im Hotel „Moulin“.
Am 12.08. bestieg ich mit Egbert, Jörg und Andreas das Mittagshorn (3.144m) über den Klettersteig. Mit der Seilbahn erreicht man die Morenia-Station in 2.550 m Höhe. Dann folgt ein 1/2- stündiger Wanderweg zum Einstieg. Der Klettersteig ist überwiegend leicht bis mittel mit herrlichen Tiefblicken ins Saastal. Gegen Mittag waren wir am sonnigen Gipfel. Der Abstieg nach Saas-Almagell (ca. 1.500 hm) dauerte dann bis ca. 15:00 Uhr. Dort gab es Kaffee und Kuchen und dann ging es mit dem Bus zurück nach Saas Grund.
Am 13.08.2021 gegen 06:00 Uhr fuhren Egbert, Jörg und ich mit dem Auto zum Mattmarkstausee (ca. 2.200m), um von dort aus das Stellihorn (3.436m) zu besteigen. Unsere Bergfreunde scheiterten am Vortag am Normalweg über den bröckligen Grat auf Grund einer Verletzung. Leider verpassten wir im Aufstieg den spärlich markierten Abzweig ins Wyss Tal und verloren mindestens eine Stunde im steilen, wegelosen Gelände. Den Stellipass (3.085m) erreichten wir gegen 10:00 Uhr. Kurze Pause, Anseilen und los ging`s mit Steigeisen auf den zunächst blanken, mäßig steilen Gletscher. Wir kamen gut und entspannt voran. Egbert ging voran, ich als Letzter. Mit zunehmender Höhe wurde der weiche, sulzige Schnee mehr und wir folgten den Serpentinen einer alten Spur. Plötzlich rief Egbert: „Achtung – Spalte!“ – und weg war er. Jörg riss es um, ich konnte mich auf den Beinen halten, vollkommen überrascht von Egberts Spaltensturz. Allmählich konnte sich Jörg aufrichten und wir versuchten gemeinsam, Egbert hochzuziehen. Dabei baute sich ein unwahrscheinlich starker Seilzug auf, der Jörg fast das Bein abschnürte. Nach einer gefühlten Ewigkeit tauchte Egbert am Spaltenrand auf, warf seine Stöcke raus und rutschte wieder abwärts in die A-förmige Spalte. „Er lebt!“- zum Glück. Was war aber nun weiter zu tun? In der Theorie war mir alles klar – Wir müssen einen Festpunkt herstellen. Aber wie? Jörg war ziemlich paralysiert und ich fand auch keine Lösung, da festes Eis für eine Eisschraube mindestens 1 m unter dem Schnee verborgen war. Rucksack oder Pickel als Festpunkt vergraben – vollkommen hoffnungslos in dem tiefen Sulz. Zur Entlastung bewegten wir uns allmählich genau in Falllinie, um den Druck am Seil zu verringern und begannen, nun etwas entlastet, das Eis mit den Pickeln frei zu graben. Dabei verlor ich jegliches Zeitgefühl und war nahe dran, die Bergrettung anzurufen. Und dann tauchte Egbert erneut aus der Spalte auf und schaffte es diesmal, sich herauszuarbeiten. Und wie herrlich - bis auf kleinere Blessuren hatte er sich nichts getan und als wir dann später erfuhren, dass kurz unter seinen Füßen die Spalte voller Eiswasser war, wussten wir, dass ein Schutzengel an diesem Tag auf uns aufgepasst hatte. An einen weiteren Aufstieg war logischerweise nicht mehr zu denken. Hochkonzentriert, ruhig und in uns gekehrt stiegen wir ab, fanden diesmal den richtigen Pfad und waren etwa 16:00 Uhr wieder am Auto. Am Abend war dieses ungewollte Abenteuer das Hauptthema.
Am 14.08. bestiegen wir in 2 Seilschaften zur weiteren Akklimatisierung erneut den Weissmies (4.017m). Und diesmal, bei meinem dritten Aufstieg, war mir dieser Berg nicht “mies“ gesonnen, sondern zeigte sich in strahlendem Sonnenschein. Dementsprechend waren viele Bergsteiger unterwegs. Der Normalweg über Hohsaas (3.101m) ist in jedem Jahr anders, aber immer geht es an riesigen Séracs vorbei und über große Gletscherspalten. Man sollte sich also beeilen. Demzufolge waren wir bereits 11:30 Uhr am Gipfel, übrigens ohne Gipfelkreuz. Kurze Pause, Fotoshooting, Rundumsicht genießen, schneller Abstieg – das Übliche eben… 14:30 Uhr ließen wir den herrlichen Tag im Berghaus Hohsaas bei Kaffee und Kuchen ausklingen. Abend entschied ich mich dann, die „Spaghetti-Runde“ auf Grund der ungünstigen Wetterprognose (große Wärme in der Höhe) und des erlebten Spaltensturzes abzusagen.
Demzufolge bestieg ich am 15.08. mit Jörg noch einmal das Jegihorn (3.206m) über den Klettersteig, erneut ohne die spektakuläre Hängebrücke. Am 16.08. ging es dann nach Hause. Damit war das Hochtourenjahr 2021 erfolgreich beendet. Ich freue mich auf 2022.
Nachsatz: Meine 6 Bergfreunde, -innen konnten die (Spaghetti-Runde) erfolgreich absolvieren. Das Wetter war dann doch wesentlich günstiger, sprich kälter als gedacht.
Berg Heil!
Gisbert Bandrock