Durchquerung des wilden Kaisers

Der Wilde Kaiser ist ein Massiv, das sich zwischen dem Kaisertal und dem Tal von Going, Scheffau, Ellmau erhebt. Bekannt als Wandergebiet von Hütte zu Hütte, aber auch bei den Kletterern ein beliebtes Ziel. Ab dem Stripsenjochhaus kann man in viele namhafte Klettertouren einsteigen: aufs Totenkirchl oder auf die Fleischbank. Unsere Durchquerung sollte genau genommen eigentlich eine Überquerung sein. Und natürlich dort, wo das Kaisergebirge am höchsten ist. Über die Ellmauer Halt mit ihren 3 Gipfeln, der Kleinen Halt (2.116 m), der Gamshalt (2.291 m) und der Ellmauer Halt (2.344 m). Das war der Plan. Und zurück zum Ausgangspunkt nochmal das Gebirge überqueren: am Scheffauer (2.111 m), dem zweithöchsten Gipfel des wilden Kaisers. Die 3-Halten-Überschreitung wird über 2 Klettersteige gemacht, den Kaiserschützensteig und den Gamsänger mit dem Babenhäuser Biwak und den Leiterstiften im Fels. Vor Jahren hatte ich diese Tour schon einmal mit Freunden unternommen, recht früh im Jahr. Daher kann ich mich nur erinnern, dass wir viele Stellen im Aufstieg frei klettern mussten, weil die Seile des Klettersteiges noch unter Schnee lagen. Wir kamen damals auch erst nach 20 Uhr auf der Hütte an. Das sollte nun anders werden.

Im Juni 2022 machten wir uns also bei strahlendem Sommerwetter mit der Bahn auf den Weg nach Kufstein. Martin, Gert, Jörg, Marina und ich waren bestens ausgerüstet mit leichtem Gepäck, Helm, Klettersteigset und dem nötigen Proviant. Dieser wurde bei unserer Ankunft in Kufstein nochmals aufgefüllt. Martin hatte 5 Bananen eingekauft und in einer Plastiktüte sorgfältig am Rucksack angebunden, Jörg und Gert stärkten sich erst mal mit einer Tasse Kaffee und Kuchen und wir Frauen griffen beim Wasser und Müsliriegel im Supermarkt zu. Unser erstes Ziel war das Hans-Berger-Haus im Kaisertal. Da wir es nicht für nötig fanden mit dem Bus zum Einstieg im 2 km entfernten Ortsteil Sparchen zu fahren, liefen wir los, einer schneller als der andere, so als ob wir uns irgendetwas beweisen müssten. Am Beginn des Kaisertals, dem Sparchensteig mit endlosen Treppen, wurden die ersten Kleidungsstücke abgelegt, es war so an die 30 Grad und wir hatten noch einen 2,5-stündigen Marsch bergauf vor uns. An unserem Quartier angekommen musste ich zugeben, dass ich mit einer recht fitten Gruppe unterwegs bin, aber nicht bereit war, dieses Tempo auch am nächsten Tag beizubehalten. Knappe 1.000 Höhenmeter lagen ab der Hütte vor uns, bis wir erst einmal beim Einstieg zum Kaiserschützensteig ankommen würden.

Nach einem guten Abendessen in der recht netten Hütte waren dann alle am nächsten Tag etwas gezügelt unterwegs und wir machten uns auf den Anstieg nach oben durch noch bewachsenes Felsgelände. Trotz langsamem Tempo erreichten wir den Einstieg im angegebenen Zeitplan und legten unser Klettersteigset an. Eine Zweiergruppe war vor uns, sonst waren wir allein unterwegs. Am Gepäck erkannten wir, dass sie wohl wieder zur Hütte zurückkehren und nicht die Überschreitung machen würden. Die steile Felswand lag noch im Schatten, der Wegverlauf war von unten nicht zu erkennen. Wir verließen uns dann auf die gespannten Seile im B/C-Bereich. Schwieriger wurden die Passagen, die ohne Seile zu bewältigen waren. Da war Klettertechnik gefragt und konzentriertes, mutiges Steigen. Mittlerweile kam auch die Sonne immer mehr hervor, Martin war dann irgendwann mit freiem Oberkörper hinter uns zu erkennen. Und plötzlich sahen wir auch, dass sich seine Tüte mit den Bananen durch die Umkleideaktion vom Rucksack gelöst hatte und in der Tiefe landete. Um eine Rettungsaktion zu starten, blieb aber keine Zeit, die 3 Gipfel lagen noch vor uns. Vom Hauptweg ging es zur Kleinen Halt rechts ab. Marina beschloss, auf unser Gepäck aufzupassen und den Gipfel auszulassen, wir mussten ja wieder auf den Hauptweg zurück. Also kletterten wir nur zu viert auf den Gipfel. Leider ohne Gipfelkreuz, dafür aber mit fantastischer Aussicht auf die weiteren Gipfel des Kaisergebirges. Durch den Umweg hatten wir Zeit verloren und beschlossen die Gamshalt, den zweiten Gipfel der 3 Halten auszulassen und kletterten in abwechslungsreicher Kletterei weiter zum Hauptgipfel. Oben angekommen trafen wir auch unsere zwei Bekannten vom Einstieg wieder und etliche andere Kletterer, die von der Gruttenhütte über den Gamsänger-Klettersteig kamen oder den Kopftörlgrat in leichter Kletterei gemacht hatten. Für Fotos und Imbiss nahmen wir uns dann viel Zeit und sahen sehnsüchtig den Gleitschirmfliegern hinterher, die ganz nahe an uns vorbeiglitten, uns aber nicht mitnahmen.

Der Abstieg über den Klettersteig war nicht schwer, höchstens im Bereich B, hatte aber auch einige Freikletterstellen, die nochmal Konzentration verlangten. Um 17:30 Uhr waren wir dann an der Gruttenhütte, gerade noch rechtzeitig, um einzuchecken. Eine umfangreiche Prozedur stand uns bevor: Schlafsack in die Microwelle, Rucksack in den Wärmeraum, alles, was ins Zimmer mitgenommen wird, in eine Box räumen. Keine Corona-Maßnahme, sondern um Bettwanzen vorzubeugen. Es war immer noch recht warm draußen, aber es zeichnete sich ab, dass ein Wetterumschwung kommen würde. So war es auch.

Als wir am nächsten Morgen erwachten, war die Terrasse klitschnass und in den Bergen hingen graue Wolken. Unser Plan, über den Scheffauer und den Widauersteig das Kaisergebirge zu überqueren, geriet ins Wanken. Wir hielten uns die Entscheidung noch offen und gingen erst mal auf dem Adlerweg bis zur Hochalm, dort wollten wir sehen, was geht. In stetem Auf und Ab wanderten wir über nasse Steine den Panoramaweg entlang, ohne wirklich viel zu sehen. An der Kaiser-Hochalm war erst mal Brotzeit angesagt und ein Blick auf die Wetter-App sagte, dass das Gewitter erst um 14 Uhr kommen würde. Aber ein recht enges Zeitfenster, um den Gipfel zu bezwingen und den Klettersteig bis zur Kaindlhütte noch im Trockenen runterzukommen. Marina wollte allein um das Gebirge herumgehen, Gert und Jörg die Entscheidung bis zum nächsten Abzweig vertagen. Martin und ich hätten sich der Gruppenentscheidung angepasst. Allerdings fand ich es nicht gut, jemanden allein weiterlaufen zu lassen und so schloss ich mich Marina an. Was zur Folge hatte, dass auch die anderen dann lieber mit uns zusammen weitergehen wollten. So machten wir uns auf den langen, doch recht schönen Weg oberhalb des Hintersteiner Sees und bekamen auf der Walleralm noch eine Buttermilch. Dann mussten wir doch noch über einen kleinen Gipfel und genossen bei strahlendem Sonnenschein vom Hochegg die Aussicht auf das Tal. Nur noch einmal runter und ein wenig hoch und dann waren wir am Weinberger Haus, unserer letzten Unterkunft. Da kam dann zum Abendessen etwas verspätet der Regen. Aber wir waren trotzdem nicht enttäuscht, dass wir nicht über den Scheffauer gegangen waren. Kilometermäßig hatten wir doch einiges geleistet und schöne Ausblicke genossen. Das Weinberger Haus verwöhnte uns mit guter Alpenküche, Aperol Spritz, kühlem Bier, dazu phantastischen Tiefblicken von der Terrasse auf das Inntal und die gegenüber liegende Bergwelt. Auch gaben die Lamas, die vor der Hütte in einem Gehege waren, gute Fotomotive her.

Der Abstieg am nächsten Tag nach Kufstein zum Bahnhof ging recht schnell und bis zur Abfahrt des Zuges leisteten wir uns alle noch ein Eis auf dem Marktplatz. Martin blieb oben auf der Hütte und plante den ausgelassenen Scheffauer zu besteigen, was ihm auch gelang. Allerdings schaffte er es dann am Abend nicht mehr ganz zurück nach Kufstein und zog eine Ruhebank als Übernachtungsplatz vor.

Text: Gaby Dudda

zurück