Die Jungmannschaft auf Up-Wegen
...per Mountainbike über die Alpen zum Klettern. Was sonst.
Es war von vornerein zum Scheitern verurteilt: Mit dem Fahrrad mal so eben über die Alpen. Ohne Training. Ohne besonders gute Mountainbikes. Ohne Erfahrung im Mountainbiken. Kurzum: Ohne Ahnung. Trotzdem, schnell war alles geplant. Mit einem billigen Fahrradträger am Kleinwagen, haarigen last-minute Reparaturen in der Nacht vor der Abfahrt, unendlich vielen Kabelbindern und jeder mit einem kleinen Rucksack voller Energieriegel ging es los nach Lindau. Am frühen Mittag saßen wir auf dem Drahtesel und die erste Etappe konnte beginnen, zunächst gemütlich um den Bodensee. Schnell kamen wir am Rhein entlang nach Liechtenstein, und dann zog die Steigung plötzlich an. Doch etwas heftiger als auf den Feldberg im Taunus. Gleich mal das erste Gel. Es ging immer weiter, steile Dorfstraßen hinauf, Ziel für heute war ein uriges Berggasthaus eintausend Höhenmeter weiter oben. Am selben Abend haben sich Dominik und Lucas in pessimistischen Wetten unterboten, bei welcher Etappe wir alle drei das Handtuch werfen würden. Nach dem köstlichen „Älplerrösti“ und „Rösti nach der schönen Försterin“ besserte sich die Stimmung jedoch etwas. Am nächsten Tag waren nur 37 km auf der GPS-Strecke vermerkt – der erfahrene Transalpi weiß schon warum: Das Fahrrad musste die meiste Zeit auf dem Buckel geschleppt werden. Zwischenzeitlich gab es sogar steile Schneefelder zu überqueren. Mitunter steile Wiesen, verblockte Wege und enge Pfade. Vielleicht kann man das fahren – wir haben geflucht und getragen. Der schwache Trost: das wunde Sitzfleisch wird geschont.
Am Ende des Tages wartete noch der Rest der mehr als 1500 hm als wunderbarer Fahrweg – und danach eine lange Abfahrt nach Bad Ragaz zurück in die Schweiz. Moritz war diese Abfahrt dann doch zu langweilig, daher hat er ausprobiert wie man am Besten über den Lenker absteigt. Das kann er jetzt, allerdings war der Preis eine Woche Pflaster am Knie.
Der heimliche Höhepunkt der Tour war tatsächlich am selben Abend unsere Budget-Unterkunft bei Anita. Nicht jede Ferienwohnung kann mit 3-Sterne Küche aufwarten – Anita hingegen weiß wie man als ehemalige Chef-Pâtissière eines Schweizer Luxushotels eine Gruppe Transalp-Greenhorns verwöhnt. Und so gab es selbst gebackene Törtchen, Fitnessbrote, Kuchen, Gebäck, Birchermüsli, Kompott und selbst geerntete Feigen. Dolce Anita.
Der nächste Tag hatte es in sich – gleich zwei Pässe und weit über 2000 hm bei knapp 60 km Strecke. Wer nicht mehr konnte, bekam ein Gel. Falls es ganz schlimm wurde, ein Riegel. Ging es immer noch nicht, zwei Stücke Kuchen. Fast alles waren hier aber geteerte Wege, und so konnte man sich in Ruhe auf seine Ausdauer konzentrieren, die Beine pumpen lassen, sich regelmäßig mit ungesundem Zeug vollstopfen, und zwischendurch die Aussicht genießen. Natürlich bleibt solch eine ruhige Etappe nicht ungestraft, und auf halben Weg zum Glasspass hinauf schlug der Blitz über Moritz und Lucas in einen Kirchturm ein – gefolgt von einem heftigen Gewitterguss. Wahrscheinlich wollte auch der liebe Gott uns nochmal klarmachen, Jungs, was habt ihr euch da vorgenommen - ihr habt doch noch nicht mal die Hälfte. Es ging trotzdem gut, und als Belohnung gabs direkt mal zwei Abendessen plus Nachtisch im Haus Beverin.
Der nächste Morgen begann mit einem der schwierigsten Singletrails der Strecke – ca. 500 hm in einem steilen, feuchten Wald hinunter, mit 180°-Kurven, Blöcken, Wurzeln, Löchern. Irgendwie haben wir es überlebt, und auch den folgenden Schotter-Aufstieg den Tomülspass hinauf. Hier waren natürlich Gel und Riegel hoch im Kurs, auch wenn die inzwischen keiner mehr sehen kann.
Wir wussten zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass uns jetzt unmittelbar der schönste, längste und spektakulärste Singletrail des Transalps, vielleicht der ganzen Alpen, erwarten wird. Ein fließender Trail, mit machbaren „Drops“ (Sprüngen), perfekt hergerichtet, und schier endlos. Die Endorphine sind mit uns gesprungen, das Adrenalin auch, und alle drei haben wir geradezu gezaubert. Unten im Dorf Vals waren wir uns einig: Wir können wohl Mountainbiken! Dabei bekam Dominik die Technik-Medaille, Moritz das Ausdauer-Trikot und Lucas den Allrounder-Pokal.
Nach einer weiteren schönen und günstigen Unterkunft ging es den langen aber flachen Lukmanierpass hinauf, vorbei an einem großen Stausee, und mit einer kleinen Tragestelle über den Passo dell’Uomo zur Capanna (=Hütte) Cadagno, im nunmehr italienischen Teil der Schweiz. Die Aussicht hier war fantastisch, bei Weizenbier und Aprikosenkuchen konnten wir den Abend ausklingen lassen. Der Aprikosenkuchen – wir sollten ihn noch verfluchen. Keiner weiß, ob es Noro-Virus oder eine Lebensmittelvergiftung war, aber die letzten beiden Tage unseres Trips hatten es in sich. Zunächst Moritz, dann Dominik und Lucas am Tag drauf, bekamen die übelste Magenverstimmung die man einem Alpendurchquerer wünschen kann. Ohne Schlaf und Abendessen strampelte Moritz also den anderen Beiden den Nufenenpass hinterher, gefolgt von einer langen Trageetappe Richtung Griespass, mit kaltem Schweiß auf der Stirn. Spontan entschieden wir, in der Capanna Corno-Gries zu bleiben. Das hatte mehrere Gründe: schlechtes Wetter, Moritz der die Welt im Allgemeinen und Trageetappen im Besonderen verfluchte und Dominik und Lucas die langsam spürten, dass der besagte Aprikosenkuchen auch bei Ihnen Wirkung zeigte. Die Hütte war ein echter Glücksfall – den wir aber nur begrenzt genießen konnten. Die letzte Etappe führte uns am höchsten Pass der Tour vorbei über einen weiteren schönen Trail hinunter ins Formazzatal – dem selbst gesetzten Ziel unserer Tour. Wir haben es geschafft!
Warum sind wir nun eine Woche über die Alpen geradelt? Natürlich, um in das beste Granit-Klettergebiet der Alpen zu kommen. Und so kam es, dass wir drei (selbstverständlich ohne Ruhetag) die nächste Woche in den steilen und schönen Granitrissen von Cadarese zubrachten. An dieser Stelle ein großes Dankeschön an Marius, der uns Zelt und Klettersachen mit dem Auto mitgebracht hat. In Cadarese haben wir dann noch 4 weitere Granitriss-AspirantInnen getroffen, und so konnten wir zu acht die Camalots glühen lassen. Klettern ist anders als Mountainbiken – Adrenalin gibt es aber bei beidem. In Cadarese ist das meiste traditionell abzusichern – aber im bombenfesten Granit ist das überwiegend problemlos möglich. Das Gebiet erstreckt sich über mehrere Terrassen, die sich spektakulär übereinander schichten. Geklettert wird hier mit speziellen Risshandschuhen – das ist besonders im rauhen Granit sehr angenehm. Die Tage waren wunderbar – nach starkem Kaffee ging es hoch in die Risse, danach in den kühlen Fluss, und am Abend im nahegelegenen Dorf in die Holzofenpizzeria – gefolgt von Gelato Grande. Am Ende der Woche hatten wir alle Sektoren zumindest ausprobiert, und waren einstimmig begeistert.
Dieser Alpenurlaub war für uns unvergesslich, allerdings hatten wir drei ein Problem: Wir konnten uns nicht entscheiden, ob das Mountainbiken oder das Klettern am Besten war, das Gel war auch leer, und wir haben uns geärgert nicht noch eine Skitour drangehängt zu haben.