Rumänien

Money for nothing & Chicks for free

Lisa klopft ans Auto. Verschlafen wühle ich mich aus den Decken und stecke den Kopf aus dem Fenster. Es ist schon kurz vor neun, aber sau kalt. Urs ist schon dabei, Kaffee zu mahlen. Jeder hat seine  Aufgabe. „Ich geh’ erst mal ins Bad“, sage ich, und laufe die paar Meter runter zum Fluss, der durch unser Zuhause fließt. Etwas Nebel unter der Hängebrücke, grün-graues Wasser an der tiefen Stelle, der Woll-Hund von gegenüber. Eiskalt. Vor ein paar Tagen war ich morgens noch baden.

Als ich wieder an unserem Platz bin, ist Lisa schon zurück von ihrem allmorgendlichen Ausflug zur Bäuerin. Milch, Käse, Brot. Mit ihren Italienischkenntnissen ist sie die Kommunikations-Beauftragte. Ein langsames Frühstück. Viel Tomaten, Olivenöl und Kräuter der Provence. Brot mit Butter und Zucker, die Marmelade ist leer.

In der Kälte sind wir wie Reptilien. Urs spült mit dem eiskalten Wasser (wir müssen Gas sparen) und ich bin froh, drumherum gekommen zu sein. Wir packen zusammen. Irgendwie ist es schon wieder elf Uhr, aber die Sonne ist immer noch nicht da. Aus meiner kältebedingten Lethargie schnappe ich ein Wort auf. „Cascadă??“ … Oh  nein, denke ich. Nicht schon wieder eine Dreiviertelstunde Aufstieg! Aber oben wartet der Wasserfall, und daneben unser Projekt. Shit, wir haben ja sogar gestern die Exen drin gelassen. Es führt wohl kein Weg dran vorbei.

Am Parkplatz begrüßen uns die Hunde von der Ziegenfrau, wir stapfen hoch, kennen den Weg schon auswendig. Bekannte Gesichter am Fels. Die Australierin mit ihrem rumänischen Freund und dem Hund, Nala. Catri, die mit mir im Masters geklettert ist. Der kleine Bärtige mit der Ukulele. „Hai!!! Hai de!“, hallt es zwischen den 80 Meter hohen Kalkwänden, die mit dem Wasserfall in der Mitte ein Herz bilden, oder einen Hintern, je nach Betrachter. „Geht schon!!“ brüllen wir mit. Der Bärtige beginnt zu spielen, ein französisches Lied; die drei Franzosen sind begeistert und nehmen ihn auf Video auf. Nebel und Musik liegen im Tal, der Wasserfall, und das gelegentliche Fluchen, wenn jemand abfällt.

Rumänien, Băile Herculane, 200 km südöstlich von Timişoara, ist das Ziel unseres Urlaubs. Die ersten Tage beginnen mit einem Kletterfestival, dem Herculane Climbing Open. Bei der Registrierung bin ich noch unsicher, ob ich mich wirklich für die Masters Category anmelden will. Die rumänischen Mädels sind bestimmt mega stark. Wir sitzen vor der Gaststätte und trinken ein Bier. Noch fühlen wir uns beobachtet von den ganzen Locals. Ich zahle mein Startgeld und bin aufgeregt.

Später stehen wir lang ums Feuer und schließen erste Bekanntschaften mit einer Gruppe Rumänen, die Würstchen, Steak und Bier mit uns teilen. Wir fühlen uns wohl. Dementsprechend spät sind wir am nächsten Tag am Fels. 14 Uhr, alle sind schon am Klettern. Nach erstem Auschecken stelle ich mich bei Money for nothing an, der Route, die am leichtesten aussieht. Plattig. Octavia klettert gerade. Catri, Elena und Delia. Chicks for free, direkt daneben, ist zu hart. So langsam komme ich ins Gespräch mit den anderen Mädels.

Warten, warten, dass die Route frei wird. Ich laufe rüber und schaue, was Lisa und Micha in der Ori Ori machen. Scheint schwer zu sein. Lisa hat Probleme mit ihrem Finger, den sie sich pünktlich zum Urlaub noch aufgeraspelt hat. Aber ihr Kampfgeist ist ungebrochen, auch wenn sie nach jeder Route das Tape erneuern muss. „Junge, dass du damit kletterst!“ Micha kann nicht hingucken. „Sag nicht Junge zu mir!“ sagt Lisa nur. „Ich bin ein Mädchen…“

Wir klettern zwei Tage lang hart und geben alles. Jeder feuert jeden an und die Atmosphäre ist prächtig. Ich freue mich sehr, als ich Black Mamba flashe, eine der Masters Routen und mit 7b+ mein bisher schwerster Flash.

Mit einer Notoperation an Lisas Finger geht der zweite Festivaltag zu Ende und alle strömen auf die andere Flussseite, wo auf der Wiese die Party steigt. Ein Feuer brennt und es gibt heißes Chili mit Brot. Wir holen uns Nachschlag. Micha fährt los, um Urs am Bahnhof abzuholen, der heute nachgeflogen kommt. Wir haben die auf dem Hinweg 17-stündige Autofahrt auf uns genommen. Lisa und ich stellen uns zur Australierin, damit sie uns übersetzen kann, was der Moderator sagt.

Siegerehrung. Stolz nehme ich meinen Umschlag und eine Tüte Chalk entgegen. Auf die Routen gibt es Preisgeld, das durch die Anzahl der Begehungen geteilt wird. Auch in der Open Category werden reichlich schöne Preise verlost. Seile, Beastmaker, Exen, Shirts. Wir sind überrascht, wie tief die Sponsoren in die Taschen gegriffen haben. Das HCO findet dieses Jahr bereits zum 15. Mal statt. Ein erstklassiges Event, besser organisiert als so mancher Wettkampf in Deutschland.

Die Stimmung ist grandios. Die Musik wird aufgedreht, es gibt hausgemachten Wein, bei dem man im ersten Schluck schon die Kopfschmerzen schmeckt und natürlich URSUS, unser Lieblingsbier. Wohin wir uns auch umdrehen, sehen wir einen unserer neuen Freunde. Nichts verbindet schneller als Klettern. Später Zigeunertänze, alle im Kreis, und unten Gitarrenmusik am Feuer. Die Rumänen können feiern. Wir feiern mit.

 Am nächsten Morgen suchen wir erst mal unsere Jacken und mein Chalk. Es hat gestern Abend wohl doch keiner mit zurück genommen. Aber in Rumänien kommt nichts weg. Die guten Jacken sind noch am Feuer und jemand weiß, wer mein Chalk eingesammelt hat und verspricht, es im Gasthof abzugeben.

Nach den letzten heißen Tagen in den überfüllten Routen wirkt es fast gespenstisch, als wir nun die einzigen am Fels sind. Hunderte Meter Wandfuß für uns. Die ganzen Hängematten, Banner und Schiedsrichter sind weg. Wir können nicht glauben, dass hier so wenig los ist, in diesem wunderschönen Tal mit zahllosen Kalkwänden von bester Qualität, jede Wand anders und besonders im Gestein, die Zeltwiese am Fluss, aka Wunderwiese, fast für uns allein, kein Netz, keine Außenwelt, die Hänge wild und unberührt, und nach dem Klettern das Bad in den heißen Schwefelquellen, die magische Heilungskräfte auf Lisas Finger ausüben. Dicke rumänische Männer in Badehosen, der schwarze Straßenhund, das Wasser so heiß, danach im Fluss abkühlen, frisches heißes Brot beim Griechen, dann noch eine Pizza zum Nachtisch, Urs und Micha zahlen ja.

Das erste Mal Milch kaufen bei der Brücke. Ziegen und Hühner teilen sich den Hof aus gestampfter Erde. „Muuuuhh??“ fragt Lisa. Die Alte lacht sich halb kaputt. „Määäähhhh!“ ruft sie und schüttelt mit dem Kopf. Wir versuchen, noch nach Eiern zu fragen, aber sie lacht nur und wir geben auf. Mit einem Liter frisch gemolkener Ziegenmilch kehren wir zu den Männern zurück.

Klettern, Essen, Schlafen, Gespräche. Das Wesentliche.

Eigentlich bin ich schon völlig durch, die ersten Tage mit dem Wettkampf und zahllosen Versuchen in Timberrrr!, Dance Again und Ori Ori haben uns alle geschlaucht und mir wird klar, dass Güllich wirklich Recht hat. Schwer klettern ist vor allem mental enorm anspruchsvoll.

Urs, aka Sugardaddy Junior, ist noch frisch und zeigt große Leistung. Er und Lisa projektieren schweres Zeug auf dem Band neben dem Wasserfall, er steigt Top Spin durch, sein 7c+ Projekt, und überholt uns fürs erste. Am nächsten Tag dann Gott sei Dank Ruhetag. Vorbildlich machen wir Ausgleichstraining auf der Wiese: Richtig Hartes Six Pack Workout, Theraband-Übungen, Yoga und Dehnen. Die Bauern treiben ihre Kühe an uns vorbei und starren uns an, als wären wir verrückt. Wir haben Spaß.

Danach vermessen wir uns. Nach den Diskussionen, wer nun die breitesten Schultern hat, wollen wir es wissen. Micha gewinnt in der Kategorie Schultern, dicht gefolgt von Ursi. Der gewinnt beim schmalen Hintern, ich in der Kategorie Taille (Schultern wäre mir lieber gewesen) und Lisa ist sowieso die Größte. Den größten Brustumfang haben nicht wir Mädels sondern  Micha: „Trägt zwar nicht zur Leistung bei, aber es ist immer gut zu wissen, wer den größten hat.“

Aufstieg nach Cascadă. Der Weg kommt aus dem Wald hervor und man sieht das Tal, hört den Bach rauschen, der Fluss blinkt unten. „Fast wie Morgenbachtal“, sage ich, und ernte Gelächter. Später erinnern mich die schieferigen Leisten links des Wasserfalls enorm an Lorsbach, auch das kann keiner verstehen. „Ja, hätten wir gleich zu Hause bleiben sollen!“, meint Micha. „Ist eh überall wie in Schriesheim!“

Selbstgespräche in der Wand. „Auf  geht’s, Alba. Daaas geht schon. Eeeeasy. Da ist der Tritt. Schön festhalten. Du kannst das. Eeeeeasy, Alba, eeeeeeasy...“ –  „Du weißt, wie’s geht, Alba. Du kennst die Züge! Bleib dran“, rufen sie unten. Ich mache den Hepper zum Topgriff, 30 Meter Kampf an futzeligen Griffen liegen hinter mir, und ich fühle ihn, fühle ihn, und dann – falle ich ab. „FUUUUUUUUUUCK!!!!!!!“ Es kann nicht wahr sein.

Urs ist dran und steigt solide durch. Nach dem Fast-Flash von vorgestern und den dabei entstandenen Fotos wundert es uns nicht. Mit deeeem Bizeps, Junge! Wir gratulieren ihm. Der Druck steigt. Ich bin geistesabwesend und kann nur an die Züge auf den letzten Metern denken.

 

Nächster Go, letzte Chance für mich, bald wird es dunkel. Gleiche Stelle. Den Aufsteher über den Untergriff, wo nur die Fingernägel reinpassen, mit links an den Sinter, sortieren, clippen, aufstehen und zum Fingerloch. Füße setzen, die Leiste mit links. Die Arme sind dick. Gestern Abend im Halbschlaf habe ich die Bewegungen noch gemacht, ich war mir sicher, dass es heute geht. Zweimal bin ich jetzt schon auf dem letzten Meter abgefallen, an der gleichen Stelle wie Urs gestern. Die Route haut nochmal rein am Ende. Aufstehen an den Leisten, Fuß an die vom Gummi schwarz markierte Stelle. Vorsichtig in das Seitloch kreuzen, zuballern, pressen, Füße höher, und diesmal langsam. Ich fühle die Topleiste. Ich greife zu. Dann kommen mir die Füße. „HALT’S fest!“ brüllt Micha, es klingt fast wie eine Drohung. Nach einer Millisekunde Schock merke ich, dass ich die Leiste noch in der Hand habe, schraube meine Finger zu und setze den Fuß wieder auf ein Käntchen. Ich ziehe Seil raus, noch immer kann ich abfallen, noch immer ist nichts sicher. Das Seil flitscht mit einem Klicken in die Exe. Endlich. Sound of Happiness.

Die Gastronomien in Herculane haben sehr fantasievolle Öffnungszeiten, und so feiern wir unsere erste 8a mit einem Notfall-Döner und URSUS am Bahnhof, bewundern zuhause auf der Wunderwiese noch kurz die Sterne und fallen wie immer halbtot ins Bett.

A hero of war, yeah that’s what I’ll be, and when I come home, they’ll be damn proud of me…„Shuffle“, sagt Lisa am nächsten Morgen und rüttelt an mir. Ich habe immer noch den gleichen Ohrwurm. Wie üblich dauert das Frühstück lange, wir haben auch wieder neue Marmelade, nur die Butter geht zur Neige, weil Micha offenbar auch auf den Geschmack gekommen ist. Heute, vorletzter Tag, nochmal an den HCO-Sektor um die offenen Projekte abzuhaken. Micha ist erleichtert, dass auch ich mich in der Ori Ori richtig schwer tue. Nieeeemals ist das nur 6c+, da sind wir uns einig. Urs zeigt uns wie’s geht und flasht sie erst mal, dann klettert er Dance Again im 2. Go mit Exen einhängen.



Micha entscheidet sich, auch nochmal in die 7c zu gehen. Das erste Stück ist schwer. Seitleisten ballern, in den Sloper reinlehnen, bei dem man jedes Mal denkt, er hält nicht, Zange, Füße sortieren, rüberkreuzen. Dann wird es leichter aber wackelig. Die Schlüsselstelle ist kein Problem für Micha, mit einer richtig guten Beta sieht sie fast zu leicht aus. Dann kommt der Aufsteher, dann hat man das Band. Er clippt. Das schwerste hat er. Er greift das Seitloch, will den Fuß hochstellen, aber irgendwas passt nicht. Man hört ihn kämpfen. Aber der Fuß will nicht hoch und er fällt. Und flucht, wie man es von ihm sonst nicht gewohnt ist. Ich erschrecke mich richtig. Scheinbar färbe ich ab. Aber Micha steckt nochmal richtig Arbeit rein. Er macht 20 Minuten Pause und dann noch einen Go mit ereignisreicher Showeinlage in der Wackelpassage vor der Crux, wo er seine Beta vergisst, ich klappere mit den Zähnen… aber durch das knifflige Finish cruist er gekonnt durch und punktet sein Projekt. Auch von mir fällt die Anspannung ab. Wir können nach Hause gehen.

Wir haben einige schwere Sachen in der Tasche. Der Urlaub war für alle der Durchbruch in einen neuen Grad. Nicht zu vergessen die Begegnungen mit Tigerspinnen, Skorpionen, Schlangen, so dick wie ein Unterarm (okay, nicht so dick wie Urs seiner --Kommentar Micha: Meiner ist dicker!), … Bärengeräusche, die nur der Sicherer hört, viele rumänische Schimpfwörter, gesprächige Tankwarte, holy water am Lagerfeuer, und vor allem, so viel gelacht habe ich schon lange nicht mehr. Frühstück bei den Bauern am letzten Tag. Paprika gefüllt mit Käse aus dem Holzfeuer. Der Bauer lässt seine Frau noch mehr Brot schneiden. Sie schreibt uns die Telefonnummer auf. „Anul – România?“ fragt er. Ob wir nächstes Jahr wiederkommen? „Da, da!“ antworten wir.

Da sind wir uns sicher. Nächstes Jahr starten wir alle beim Masters.

zurück