Überwinterung im kulinarischen Kletterparadies Sizilien

Pesce,Pesce!!

Der stämmige, braun gebrannte Sizilianer läuft laut rufend über den morgendlich verschlafenen Campingplatz und bietet seine frischen Fische feil. Wir reiben uns den Schlaf aus den Augen und tischen lieber gefüllte Croissants, frisches Pane, traumhaften Ricotta, leckeren Schinken und göttlichen Käse auf. Während der Espresso durch die Kanne rauscht, besprechen wir die heutigen Kletterpläne und alle sind sich einig: Sizilien ist für die Frankfurter DAV Jungmannschaft die perfekte Winterflucht. Obwohl sich nicht alle unter uns vorher kannten, haben wir von Anfang an einen Riesenspaß miteinander und finden auch tatsächlich immer einen Felsen der von 5a bis 7c+ jedem etwas zum Austoben bietet! Nur zwei Minuten Spaziergang vom liebevoll gestalteten Campingplatz entfernt fangen auch schon die Felsen an, perfekt zum warmklettern, und immer mit unübertroffener Aussicht über das Meer zum Monte Cofano. Klaus spricht aus was alle denken, der Fels ist grandios, kaum abgespeckt, fest, gut gesichert. David konsumiert die langen Routen wie kein anderer, oft reicht das 70m Seil geradeso. Dabei kann ihn weder „Toro Rosso“ (6c) noch „Hängematte direkt“ (1a) aus der Ruhe bringen. „La Sicilia della mia infanzia“ (6c+) ist mit 40 Metern genau nach seinem Geschmack und „Destra di Toro“ (6a) bekam von Birgitta und Moritz eine zweite Erdbeere verliehen. Klaus posiert an der Fotokante „Face Route“ (5a), und Micha ist stolz auf Accesso (3a) und „Josef’s Crack“ (7a). Auch Judith zieht viele Klettermeter, und bekommt am Abend einstimmig den MassageAward erster Güte verliehen. Nach einer kurzen Fahrt im Miet-U-Boot beweisen Micha und Lucas im Sektor „Crown of Aragon“, dass man selbst bei Regen, Schnee und waagerecht fliegendem Hagel krasses Zeug klettern kann, solange es überhängend ist (und zwar richtig überhängend!). Da es uns heute aber fast vom Wandfuß weht, machen wir uns schnell auf in die Therme. Auch wenn diese ungefähr die Größe einer geräumigen Badewanne hatte, und ziemlich nach Schwefel stank, die obligatorischen blau-weißen Bademützen haben uns überzeugt. Nur Lucas und Micha fehlen in der Therme: still und heimlich inspizieren sie den beleuchteten Sektor „Pipeline“, und Lucas gelingt im 2.Versuch die kniffelige Boulderpassage an den winzigen Leistchen von „Red Alert“ (7c+). Einige Tage war das Wetter leider so, dass man keinen cane vor die porta jagt, und wir brauchen ja tatsächlich auch mal einen Ruhetag. Ein Glück dass im Dorf Castelluzzo Giovanni der Bäcker wohnt, der uns nicht nur italienisch beibringt: „Tanti Auguri“-Frohes Neues!, sondern auch die besten Cannoli zaubert. Knusprige Teigröllchen mit süßem Ricotta gefüllt. Schnell werden die Leckereien von Moritz in „Schmauli“ umgetauft, und Don Schmaulizio ist Dauerkunde bei Giovanni. Nachdem wir drastisch unterschätzt hatten, wieviel Flaschen Nero d‘Avola bei uns durstigen Kletternden am Sylvesterabend draufgehen, und auch der Limoncello nicht gereicht hat, sind Alba, David, Moritz, Birgitta und Jonas nüchtern und tapfer genug am 1.1.2017 im Meer das neue Jahr anzuschwimmen.

Erfrischt laufen wir kurze Zeit später durch Kakteen, Agaven und Schafherden in ein neues vertikales Paradies mit dem malerischen Namen „Bunker, C2.2“. Micha und Alba genießen hier den Sprung in das Riesenloch („Buco di Mama“) der Route „Il Ritorno dei Nomadi“ (6c+). Die großartige Route „dall’Alba“ (6a+) ist für Alba, David, Micha, Lucas und Jonas im Sonnenschein natürlich ein Klaks, aber Birgitta will es wissen und begeht die Route kurzerhand mit Kopflampe nach Sonnenuntergang. Nachdem Don Schmaulizio am Abend vorher am Gasherd fast den Campingwagen abgefackelt hat, gelingt ihm seine erste 6bonsight Route „Ashes to Ashes“. Das muss gefeiert werden. Wir fühlen uns wie eine italienische Großfamilie als wir hungrig in die Pizzeria einfallen, und lautstark die Qualität der Fingerlöcher, Sinter und Schmaulis diskutieren. Es tut gut, mal nicht mit 10 Leuten auf 10 m² zu kochen. Spätestens nach dem Gelato wird klar, die Anzahl der Köstlichkeiten in Sizilien ist schier unbegrenzt, und das gilt auch für die Kletterrouten in den folgenden Tagen. Jonas wagt eine „Safari“ (7a+) und fühlt sich wie ein Löwe, der die Gazelle im ersten Versuch fängt: sein bisher schwierigster flash. Lucas verdient sich einen extra Schmauli beim schwierigsten flash des Urlaubs, „Mal di schiena“ (=Rückenschmerzen, 7b+). David hat stattdessen einen no-hand rest in seinem Projekt gefunden, und wertet es berechtigterweise auf: „Hängematte windgeschützt“ (1a+). Hannah, David, Jonas und Lucas kehren später zu den unglaublich steilen Routen von Aragon zurück. David onsightet „Sgamone“ (7a+) und er „walked the line“ (7b+). Lucas hangelt sich tapfer wie „Mega Dave“ (7c+) von Stalagtit zu Stalagtit. Vertikales Highlight war sicherlich die Never Sleeping Wall. Sintersäulen die in den Himmel hinaufragen, fußballgroße Griffknubbel und beste Löcher bieten abgefahrene Moves. Lucas, Micha, Jonas und Alba erkunden „Pioneer“ (6c+), David und Lucas können einfach nicht einschlafen in „Insomnia“ (7c), obwohl sie 38m dafür Zeit hätten. Moritz und Birgitta kämpfen in „La Rossa Tue“ (6c) und Alba weinte regelrechte „Tears of Freedom“ (7a+) nach ihrem spektakulären flash mit rettendem Faustklemmer kurz vor dem Top, und auch David erklärt die Route zu seiner Lieblingstour. Einige Tage waren wir wirklich nur einen Steinwurf von der tosenden Brandung entfernt an den Klippen, mit frischer, salziger Luft und unglaublichen Sonnenuntergängen. Spätestens bei deren Anblick übertönt unser Magenknurren das Meeresrauschen, und es wird Zeit die 2,5 kg Nudeln in den Topf zu werfen. Gekrönt wird das wie immer mit Ricotta-Tomatensoße mit Extra-Ricotta. Als Nachtisch gibt’s dann natürlich Schmaulis mit Ricotta. Nach ausgiebigem Gruppenkuscheln und Füße massieren schlummern wir alle schnell ein und träumen von der Never Sleeping Wall, unseren vielen offenen Projekten und natürlich vom Ricotta. Als wir zum letzten Mal morgens vom Fischmann geweckt werden, kann Don Schmaulizio dem frischen Thunfisch nicht mehr widerstehen, und rennt im Schlafanzug raus.

von Moritz Greif

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