Unter Geiern - Kletterkurs in El Chorro

Eine Woche Andalusien, das klang im regennassen Frankfurter Winter überaus verlockend. Der Kurs „Sportklettern in El Chorro“, so hieß es in der Ausschreibung, richte sich „an alle Kletternde, die bereits das Vorstiegsklettern (min. UIAA 5) und Sichern in der Halle beherrschen und ihr Wissen und Können nun auf das Klettern am Fels erweitern möchten.“ Unser Wissen und Können erweitern wollten wir alle: zehn Teilnehmer und Teilnehmerinnen, von denen einige schon jahrelang und auch am Fels herumgeklettert waren, während andere tatsächlich bislang ausschließlich an Plastikgriffen trainiert hatten.


Beim Vortreffen in der Frankfurter DAV-Halle werden die Erwartungen abgeklärt, Einkaufslisten erläutert – wofür braucht man beim Klettern eine Stirnlampe? Was bitte ist ein ATC? Und wieviele Verbandspäckchen sollen wir mitbringen? - und dann überprüft Oliver Lorenz, einer der beiden Kursleiter, ob auch wirklich alle so gut sichern können, wie in der  Ausschreibung gefordert.

So geht Abseilen!

Eine Woche später treffen wir uns in der Climbing Lodge in El Chorro wieder. Sie liegt eine knappe Autostunde – die sich dank der vielen Kurven und Bodenschwellen deutlich länger anfühlt und bei einigen Mitreisenden Symptome von Seekrankheit auslöst – von Malaga entfernt in einem einsamen Hochtal in den Bergen. Die Unterkunft ist schlicht, aber bezaubernd: mit Terrasse, einem kleinen Pool, einer gemütlichen Küche, einem freundlichen Hund, der mit seinen Ohren merkwürdige Dinge tun kann, und ganz viel Landschaft aus Oliven- und Orangenbäumen drumherum sowie einem fantastischen Sternenhimmel. Das gemeinsame Kochen macht Spaß und wird durch Bier und Wein noch spaßiger, und bei der ersten Trainingseinheit an der Übungswand ist die Gruppe dann schon recht vertraut miteinander.

Etwas sonnenverbrannt

Die beiden Trainer Oliver Lorenz und Marc Chantelauze erklären geduldig und hingebungsvoll, was man mit einem Seil anstellen muss, wenn eine Route nicht wie in der Halle an zwei Schnappkarabinern endet. Nachdem jeder und jede begriffen hat, wie man das Seil durch den Ring fädelt, ohne es dabei zu verlieren oder einen ungesicherten Sturz zu riskieren, geht es endlich an den Fels: Nur noch eine kurze Autofahrt, und dann lernen wir ihn kennen, den wunderbar rauen, festen und griffigen El Chorro-Kalk. Am aufgeregtesten sind wahrscheinlich die Newbies, doch wie sich rausstellt, klettern sie im Freien genauso mutig und geschickt wie in der Halle. (Ein Lob auf die anspruchsvolle Bewertung in der Frankfurter Halle!) Die Sonne brennt fast zu heiß, was es aber den ängstlicheren  Teilnehmern erlaubt, ihre Anflüge von Vorstiegsangst als Symptome eines beginnenden Hitzschlags zu tarnen ...

Am Abend – und überhaupt allen Abenden - sind jedenfalls alle glücklich und zufrieden. Der drohenden Austrocknung des Körpers wird Widerstand mit Bier und Wein geleistet, und so gehen die Tage dahin. Wir lernen abseilen. Wir üben, kleine Schritte auf kleinen Tritten zu machen (Zitat Marc: „Für jeden Tritt einen Euro“) statt uns vorzugsweise an den Griffen hochzuzerren. Wir lernen die Hüfte „an die Wand zu bringen“. Wir erfahren, dass Marc unsere Lieblingstritte „Bürgersteige“ nennt, und versuchen, beim Sturz die korrekte Haltung einzunehmen, die Oli als „hockender Fuchs“ beschreibt. Wir studieren Topos, verheddern uns in den Seilen und sortieren hingebungsvoll unser Material. Wir üben Knoten und simulieren an einem Baum das Nachsichern in Mehrseillängen.

Blick vom Gipfel

Im Lauf der Tage werden die Routen ein bisschen länger und ein bisschen anspruchsvoller. Das Seilhandling klappt immer besser, das Selbstvertrauen steigt. Und auch die Gruppe wächst immer mehr zusammen – bis dahin, dass irgendwann tatsächlich alle alle Namen kennen. (Dank sei dem Erfinder des Merkspruchs „Pascal wie plond“!). Die freundliche und kompetente Unterweisung von Marc und Oli trägt Früchte, so dass an den letzten Tagen tatsächlich alle selbstständig zum Klettern aufbrechen können.

Nach dem Ende des offiziellen Kurses nutzen einige Teilnehmer die Zeit für einfache Mehrseillängentouren. Eine davon droht zwar ganz kurz daran zu scheitern, dass zunächst das Seil im Auto liegenbleibt und dann der Einstieg in der unwegsamen Wildnis tatsächlich so schwer zu finden ist, wie im Führer beschrieben. Doch die Bergsteiger lassen sich nicht entmutigen: Eine leichte Kletterei führt sie schließlich auf einen Gipfel mit herrlicher Aussicht, der allerdings demnächst wegen des Vogelschutzes in den Frühjahrsmonaten gesperrt werden soll. Tatsächlich begegnen ihnen beim Aufstieg Geier, die hier in Andalusien wild leben. Die majestätischen Vögel mit einer Spannweite von über zwei Metern fliegen so dicht an ihnen vorbei, dass sie die Flügel rauschen hören.

Eine besonders mutige Seilschaft wagt sich anschließend in die „Blue Line“, eine 12-Seillängen-Route im Sektor „Escalera Suiza“. Um diese Herausforderung noch etwas zu steigern, lässt der Vorsteiger unterwegs einen Stand aus und stellt so unter Beweis, dass man mit einem 70-Meter-Seil tatsächlich über 60 Meter weit klettern kann... Wahrscheinlich waren nicht nur die Trainer Marc und Oli froh, dass die Abenteuer gut ausgingen und alle ihren Spaß hatten.

Was für ein unwahrscheinliches Glück wir mit diesem Kurs hatten, wird allerdings erst jetzt im Rückblick richtig deutlich: Zwei Wochen nach Beginn der Corona-Krise mit Homeoffice und Kontaktverbot, mit Ausgangssperren in ganz Spanien und ständig neuen Schreckensnachrichten aus aller Welt erscheint es wie ein Traum, dass wir eben noch mit einer netten Gruppe in fantastischer Landschaft klettern konnten. Danke Oli, danke Marc!


Andrea Teupke

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