Der Wert des Wettkampfkletterns bei meiner Persönlichkeitsentwicklung

Dieser Artikel soll auf die Immateriellen Dinge für die Entwicklung meiner Persönlichkeit hinweisen, die das Wettkampfklettern mit sich bringt.

Der folgende Text stellt eine persönliche Betrachtung dieses Themas dar. Jedoch sind die Fakten wissenschaftlich belegt und die erlebten Dinge folgen einer wahren Gegebenheit. Es wurde nichts dazuerfunden oder für diesen Text geschönt.

Über mich

Im Urlaub nach der ersten Op

Mein Name ist Tim Schaffrinna, ich bin 23 Jahre alt und studiere Mineralogie (Master) an der Goethe-Uni in Frankfurt. Seit fast 15 Jahren bin ich Mitglied in der Sportklettergruppe der DAV Sektion Frankfurt. Des Weiteren bin ich seit Kindestagen in den Ferien im Sommer wie im Winter in den Bergen unterwegs. Im folgenden werde ich die verschiedenen Stationen meines Lebens mit dem Einfluss des Wettkampfkletterns auf mein Leben und meine persönliche Entwicklung aufführen, denn ich bin bereits 2006 meinen ersten Kidscup geklettert.

Kindheit

Schon als ich ein paar Jahre alt war, machte ich meine erste Begegnung mit dem Klettern am Fels in den französischen Alpen. Ich erinnere mich nur noch schemenhaft daran, aber ich weiß noch, dass ich einen Griff erreichen wollte, den ich noch heute vor meinen Augen sehe.

Dann gab es eine längere Pause mit dem Klettern. Ich war viel mit meinen Eltern in den Bergen unterwegs, bei der zwei große Leidenschaften entstanden, die mein Leben deutlich geprägt haben: Das Skifahren und Bergsteigen.

Mit ungefähr 9 Jahren probierte ich das Klettern in der Halle aus. Es machte mir Spaß, sodass ich zwei Jahre später meinen ersten Kidscup in Neuss kletterte. Ich hatte in der folgenden Zeit zahlreiche geklettert, mit mäßigem Erfolg, sie machten mir aber Spaß.

Jugend

Es dauerte einige Zeit, bis ich einen Ehrgeiz entwickelte, besser zu werden. Dieser Ehrgeiz sollte später noch ganz wichtig werden.

Dieser Ehrgeiz, der beständig wuchs, gab mir Ziele im Leben, die ich erreichen wollte. Dies ist etwas Wichtiges, wenn man zu der Zeit nicht das höchste Selbstbewusstsein hatte. Ich nahm an vielen Wettkämpfen teil, zuerst nur in der Disziplin Lead (es gab zu der Zeit keine anderen Disziplinen), später auch in der Disziplin Bouldern. In beiden Disziplinen schaffte ich es, auf Landesmeisterschaften bis hin zur nationalen Cup-serie zu starten.

Mit der Aufnahme vom Klettern bei Olympia änderte sich die Wettkampfstruktur, sodass man sich über Landesmeisterschaften für die Westdeutsche Meisterschaft und über diese für nationale Wettkämpfe qualifizieren muss. Im Bouldern war für mich nach den Landesmeisterschaften schluss, im Lead war dies für mich jeweils nach den westdeutschen Meisterschaften.

Umgang mit schlechten Ergebnissen

Meine Erfolge bei den Wettkämpfen hielten sich in Grenzen. Zwar hatte ich mit dem 3. Platz in der Hessenwertung im Lead 2014 und 2016 gute Erfolge, der große Durchbruch blieb aber aus, meist landete ich im Mittelfeld der Teilnehmer. Schlechtere Ergebnisse motivierten mich mittel- und langfristig fast mehr als gute Ergebnisse, besser zu werden. Auch wenn die Platzierungen noch so schlecht waren, ich konnte das Ergebnis nicht mehr ändern. Also akzeptierte ich das Ergebnis, analysierte die Fehler und schaute nach kurzer Zeit wieder positiv nach vorne. Alten, guten Ergebnissen hinterhertrauern brachte mir nichts, da sich zu dem Zeitpunkt alle möglichen beeinflussbaren und unbeeinflussbaren Dinge geändert hatten. Mit dem Trainingszustand und dem Schrauberteam des Wettkampfs seien nur zwei genannt.  Dies alles lernte ich besonders bei den Lead-Wettkämpfen, da man pro Route nur einen einzigen Versuch hat und der Wettkampf im schlechtesten Fall nach zwei Qualirouten vorbei ist.

Erfolge in Form von Platzierungen und Pokalen sind meiner Meinung nach für einen Leistungssportler schön und auch das Ziel seiner Bestrebungen, jedoch ist der persönlich richtige Umgang mit Misserfolgen der größte Erfolg, den er für seine Persönlichkeit erreichen kann. Er entscheidet über die Länge der Karrieren von Leistungssportlern und das weitere Leben.

Dieser Umstand sollte später für mich noch ganz wichtig werden. Erfolg und Misserfolg liegen insbesondere bei Lead-Wettkämpfen somit ganz nah beieinander. Je näher diese aneinander liegen, desto höher ist Erfolgsdruck.

Umgang mit Erfolgsdruck

Mit der Zeit entwickelte ich an den Wettkämpfen Strategien, um die Anspannung in einem bestimmten Bereich zu halten, sowie weitere Routinen, wie der Wettkampftag abläuft (Registration - Infos über Route einholen - Aufwärmen - in den Qualis antreten,...) Ein weiterer wichtiger Punkt ist die emotionale Abschirmung von anderen. Man lernt zu entscheiden, was wann und wo passiert, geht alle Szenarien durch, die passieren können und hat immer einen Plan B oder C, wenn Plan A nicht funktioniert. Zusammengefasst sind dies alles Strategien der Psychoregulation, die man besonders auf Wettkämpfen lernt.

Diese Strategien beschränken sich nicht nur auf die Wettkämpfe beim Sportklettern. Ich kann und konnte sie 1:1 auf Klausuren anwenden, was mir gerade in den langen Abiklausuren zugute kam. Die Ausgangslage ist sehr ähnlich:

  • Die Aufgaben sind vorher nicht bekannt.
  • Man hat nur einen Versuch, den man in einem bestimmten Zeitfenster absolvieren kann.
  • Man kann das Ergebnis im Nachhinein nicht ändern
  • Viele sind aufgeregt/nervös

Es ist ein großer Vorteil, wenn man sich vor Klausuren durch Strategien aus dem Wettkampfklettern in die richtige mentale Anspannung herunterregeln und nervöse Personen ausblenden kann.

Der Schicksalsschlag

Wenige Tage nach der Blutung in Klagenfurt - im Rollstuhl
Wenige Tage nach der Blutung in Klagenfurt - im Rollstuhl

Ich kletterte in den letzten Jahren viele Wettkämpfe und wurde durch immer erweitertes Wissen über Trainingslehre immer besser. Das Wettkampfklettern war schon ein wenig zur Lebenseinstellung geworden. Ende März 2018 hatte sich mein Leben mit einem Schlag komplett geändert. Es war im Skiurlaub in Osttirol. Meine Eltern und ich hatten am Tag noch eine Skitour gemacht und als ich mich am Abend ins Bett legte, verlor ich innerhalb von wenigen Sekunden das Gefühl und die Ansteuerung in der rechten Hand. Kurz darauf war es der ganze Arm. In den Minuten darauf folgte der restliche Teil meiner rechten Körperhälfte. Ich wollte reden, aber es ging nicht mehr. Ich brachte nur noch verwaschene Töne heraus. Mein Blickfeld war ebenfalls halbiert, rechts sah ich nichts mehr. Meine Eltern riefen den Notarzt. Dieser brachte mich über einen Zwischenstopp im Krankenhaus Lienz ins Krankenhaus nach Klagenfurt. Ich habe dann ohne Diagnose halb gelähmt die Nacht herumbekommen, ohne viel zu Schlafen. Mir kamen dabei ziemlich schmerzhafte Gedanken:

"Werde ich jemals wieder in den geliebten Bergen unterwegs sein können?"
"Werde ich wieder klettern können?"
"Was wäre, wenn es einen Not-aus-Schalter für das Leben gäbe? Würde ich den umlegen?"

 Kommt auf die Diagnose an. Aber ich habe mir auch gedacht: "Mein Leben hat doch gerade erst angefangen. Ich kann doch nicht einfach meine Träume und Wünsche gehen lassen und mein Leben beenden. Ich habe doch mein Leben noch vor mir" Am nächsten Tag folgte ein MRT vom Kopf und darauf die Diagnose: Hirnblutung an einer ungewöhnlichen Stelle. Als Ursache wurde eine seltene Krankheit in Verdacht gezogen, bei der das Hirn die Adern zudrückt und sich viele dünne Adern zum Ausgleich bilden. Die Ärzte sagten, ich sei noch jung, das käme alles wieder (Ich konnte zu dem Zeitpunkt nur eingedicktes Wasser trinken und Suppe essen, da auch meine Zunge und der Kehlkopf zur Hälfte gelähmt waren). Ab diesem Zeitpunkt ging es mir, abgesehen von kleineren Tiefs, mental gut. Ich strahlte, als mich z.B. meine Eltern besuchen kamen. Körperlich fing ich fast wieder bei 0 an.

Warum ging es mir "so" gut?

Kurz nach der ersten Op
Kurz nach der ersten Op

Ich wendete einfach das an, was ich beim Wettkampfklettern gelernt hatte: Ich schaute nicht nach nach hinten, sondern nur nach vorne. Ich akzeptierte die Lage und nahm sie so an, wie sie war. Ändern konnte ich sie ja nicht mehr. Mein (ehrgeiziges) Ziel war die Deutsche Meisterschaft im letzten Jahr im Lead. Ich wollte es der Krankheit und mir zeigen, was möglich ist. Das Ziel gab mir in der akuten Phase im Krankenhaus und Reha (ges. 10 Wochen) Kraft und eine Richtung. Erst später merkte ich, dass ich dieses Ziel nicht erreichen kann. Ich setzte mir dann das unbefristete Ziel, wieder in den alten Fitnesszustand vor der Blutung zu kommen. Ich habe bis heute nie die positive Einstellung verloren, auch zwei schwere und lange (10h und 4h) Bypassoperationen im August und November am Kopf konnten diese nicht stoppen.

Das Wettkampfklettern hat meine Persönlichkeit entscheidend geprägt und die dabei gelernten Strategien kann man auch außerhalb des Wettkampfkletterns anwenden. Nur durch das Wettkampfklettern habe ich in dem Maße die Fähigkeit gelernt, wieder aufzustehen und nach vorne zu schauen. Hätte ich dies nicht gemacht, hätte die Blutung mental in einer Depression enden können. So kämpfe ich mich motiviert mit positiver Einstellung wieder Stück für Stück in mein altes Leben zurück, egal wie lange das noch dauern mag. Mein Ziel ist es wieder im oberen 9. Schwierigkeitsgrad im Vorstieg zu klettern. Ich weiß, dass ich das erreichen kann.

Es kann gut sein, dass ich nun beim Paraclimbing Team Germany aufgenommen werde und dieses Jahr auf int. Paraclimbing Wettkämpfen teilnehme. Meine Wettkampfkarriere ist trotz meinen aktuellen (rückläufigen) Einschränkungen noch lange nicht vorbei.

Tim Schaffrinna

Leistungssportreferent DAV Sektion Frankfurt am Main

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